Prozessbericht vom zehnten Verhandlungstag am 23.05.2014

Die Einvernahme von Martin Unger wird fortgeführt. Der Zeuge ist Gruppeninspektor und Leiter der sogenannten “SOKO (Sonderkommission) Schlepperei Süd” des Landeskriminalamtes Burgenland die zum Thema “Schlepperei” ermittelt und vom Innenministerium eingesetzt ist. Er hat (wie gestern) eine große Tasche mit Akten dabei, zitiert zwischendurch aus den Telefonüberwachungsprotokollen und legt ebenso das am gestrigen (neunten) Prozesstag angekündigte Plakat mit den Verbindungen der überwachtenTelefone vor. Alle Angeklagten außer einer Person sind im Saal erschienen, diesmal kann nicht wieder über Unpünktlichkeit geklagt werden.

Unger hat die Telefonüberwachungen teilweise selbst verschriftet und zum Teil die Einvernahmen der Angeklagten geführt.
Die Fragen zur Beteiligung Ungers an den Übersetzungen nehmen einige Zeit in Anspruch. Laut seinen Angaben wurden von ca. 24.000 überwachten Telefonverbindungen 12.000 – die laut Polizei “’Schlepper’-relevant” waren – verschriftlicht. Telefonate werden heute aus Zeitgründen keine vorgespielt. Laut Angaben des Zeugen sei er mit den Dolmetschen per Du, man kenne sich schon lange. Angesprochen auf die “Ungenauigkeiten” bzw. Fehler in den Übersetzungen – so wurden beispielsweise “Burschen” in der Übersetzung zu “Schleppungswilligen” – erklärt er, dass es für ihn keinen Grund gegeben habe, an der Richtigkeit der Übersetzungen zu zweifeln. Auch nachdem ihm dargelegt wurde, dass es nach den bisherigen Verhandlungstagen triftige Gründe gibt, die Übersetzungen in Frage zu stellen, bleibt Unger bei seinen Angaben. Als ein Verteidiger ihm die Verschriftlichung eines mehrminütigen Telefonates vorlegt, dessen „Inhalt“ in der “Niederschrift” nur wenige Zeilen ausmacht, sagt Unger, dass ihm die eindeutige Diskrepanz zwischen der Dauer des Telefonats und der Länge der Verschriftlichung nicht aufgefallen sei. Als Polizei habe man aber bezüglich der Dolmetscher den Grundsatz „Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser“ gemäß gehandelt und deren Übersetzungen eigenständig überprüft. Dies sei geschehen, indem die BeamtInnen eine*n Dolmetscher*in ein Gespräch übersetzen ließen, die Übersetzung löschten und anschließend die neuerliche Übersetzung durch eine*n andere*n Dolmetscher*in mit der ersten abglichen. Dabei seien den Beamt*innen keine Unstimmigkeiten aufgefallen. Die Übersetzungsfehler und Interpretationen in den Übersetzungen, die im bisherigen Prozessgeschehen zu Tage tragen, konnte Unger sich demnach nicht erklären.

Befragt zu der großen internationalen “Schlepperbande”, der die Angeklagten angeblichen angehören sollen, gab Unger zu, dass darüber keine weiteren Informationen vorhanden seien. Er arbeite zusammen mit den Behörden in Ungarn, Serbien, Italien und Deutschland. Die internationale “Schleppermafia” wurde vorausgesetzt, ohne dass Klarheit
darüber bestand, ob diese als solche existiere. In diesem Zusammenhang kam auch sein mitgebrachtes Poster zum Einsatz. Es zeigt willkürlich angeordnete Verbindungen von Telefonnummern, die teilweise Personen zugeordnet wurden. Unger präsentiert die Darstellung stolz, bei Nachfragen stellt sich heraus, dass die Netzwerkgrafik, die die polizeiliche Annahme einer „kriminellen Vereinigung“ stützten soll, so gut wie keine dafür relevanten Inhalte zeigt: Die dargestellten Telefon-Verbindungen zeigen, welche Telefonnummern wie oft miteinander in Kontakt waren. Über die Inhalte der Telefonate oder darüber, ob die angerufene Person überhaupt abgehoben hat, sagt das Poster nichts aus.

Bei einigen Fragen verweist der Zeuge auf Bezirksinspektor Kranz, der die Ermittlungen für Wiener Neustadt geleitet hat. Gefragt nach einer Verbindung der Ermittlungen mit den Protesten gegen die Abschiebung von Geflüchteten im Sommer 2013 und den “Refugeeprotesten“, sagt Unger aus, dass es ihm egal sei ob irgendwer protestiert habe oder nicht.

Unger beruft sich oft auf “Erfahrungswerte”. Wie die von ihm genannten “Schleppungen” abgelaufen sein sollen, kann er im Detail nicht erklären. Es wurde beispielsweise nicht überprüft, wie viel ein Zugticket kostete, somit kann auch nicht nachgewiesen sein, dass Personen einen “Schlepperlohn” erhalten haben – wie der Akt behauptet. Geld sei nicht immer im Spiel gewesen. Das Wort “Schlepperlohn”, das im Akt immer wieder auftaucht, wurde anscheinend generell gebraucht, wenn von Geldbeträgen die Rede war. Ob man wisse, ob nach Abzug der Preise für die Tickets noch überhaupt etwas von dem Geld übriggeblieben sei? Unger antwortet, dies sei nicht thematisiert worden. Am Ende des Verhandlungstages bleiben viele Fragen an den Zeugen Unger offen. Die Oberservationsprotokolle werden, wenn sie die Verteidigung und Staatsanwaltschaft erreichen, eine erneute Befragung des Chefinspektors nötig machen. Insgesamt habe es 5 Observationen gegeben, dem Gericht liegen aber nur 2 Obeservationsprotokolle vor. Vielmehr wurden die Observationsberichte zum Teil einfach in den Akt eingearbeitet, sodass nun nicht mehr ersichtlich ist, welche Informationen aus diesen Berichten stammen. Dazu die Verteidigung: “Für uns ist so nicht ersichtlich, ist das Oberservation, Telefonüberwachung oder Mutmaßug.” Des Weiteren blieb unklar, inwiefern wirklich alle Dokumente und
Aufzeichnungen von Unger Eingang in das Verfahren gefunden haben. Auffällig ist, dass Unger von ‘persönlichen Notizen’, ‘Erfahrungswerten’ und Kontakten mit Beamten im Ausland bspw. Ungarn spricht, welche nicht dokumentiert wurden. Eine Vertrauensperson bzw. verdeckte*n Ermittler*in habe es seines Wissens nach nicht gegeben.

Auffällig ist außerdem, dass bei der Einvernahme der Person, auf deren Vorwurf gegen einen der Angeklagten die Oberservation und Überwachung überhaupt erst begonnen wurde, der Beamte laut Protokoll alleine mit dieser Person im Raum war – ohne wie sonst üblich mit Dolmetscher*in.

Zum Ende hin erklärt der Polizeiinspektor dem Gericht noch dass “eine Eigenschleppung straffrei sei”.

Interessant ist noch, dass Gruppeninspektor Unger die Frage bejaht, ob Kollegen aus ‘seiner’ SOKO (“Schlepperei” Süd) regelmäßig als Prozessbeobachter im diesem Fall im Gerichtssaal saßen. Ob beruflich oder privat, darauf ist seine Antwort “Ich weiß es nicht”. Ob er mit den Kollegen gesprochen habe? “Nur, dass es lang war und so”. Die Kollegen scheinen sich mit den Prozesstagen abzuwechseln. Anwalt: “Sie wurden heute von einem Polizisten, der hier mehrmals den Prozess beobachtet hat, zur Verhandlung begleitet.”- “Ja”. Die Ermittlungen in dem Fall seien jedoch abgeschlossen.

Nächster Verhandlungstag ist der 11. Juni 2014. Für diesen sind über Mitfahrgelegenheit.de kontaktierte Personen als Zeug*innen geladen.