„Schlepperei“, Fluchthilfe, Grenzübertrittsdienstleistung – Zu den Begrifflichkeiten

Im österreichischen Strafrecht wird die „Förderung“ der „rechtswidrigen Einreise oder Durchreise eines Fremden in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder Nachbarstaat Österreichs mit dem Vorsatz […] sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern“ als „Schlepperei“ bezeichnet. (§114 FPG) Aktuell wird in Wien oft von „Fluchthilfe“ gesprochen und geschrieben. Diese Begriffe wollen grob gesprochen jene Handlungen beschreiben mit denen Personen anderen helfen, undokumentiert Grenzen zu übertreten, betonen aber unterschiedliche Aspekte.

„Geschleppt“ werden normalerweise Dinge, eins „schleppt“ einen Rucksack oder eine schwere Kiste. Eine Couch in den 5. Stock ohne Lift zu bringen ist eine „Schlepperei“, Europäer_innen haben in der Neuzeit Krankheiten nach Amerika „eingeschleppt“ und die Verhandlungen im aktuellen Verfahren in Wiener Neustadt gehen eher „schleppend“ voran. Übertragen auf den Kontext von undokumentierter Migration stellt der Begriff „Schlepperei“ demnach die Personen, die „geschleppt“ werden, als passive Dinge dar, mit denen etwas gemacht wird, das sie nicht wollen oder jedenfalls nicht steuern können.
Gleichzeitig mit dieser Objektivierung (Migrant_innen werden als Objekt, nicht als Subjekt dargestellt) stehen jene Personen im Mittelpunkt, die anderen helfen, Grenzen zu überqueren – die so genannten „Schlepper“. Sie werden zu den Akteur_innen einer brutalen oder jedenfalls anstrengen Handlung, Personen von A nach B zu bringen.

Dass es dieser Begriff ist, der im so genannten „Fremdenpolizeigesetz“ (FPG) verwendet wird, ist damit kein Zufall. Die österreichische Migrations- und Asylpolitik (sowie die auf EU-Ebene) sieht Migration als Gefahr, etwas, das kontrolliert, eingeschränkt und (bis auf bestimmte Fälle) verhindert werden soll. Da sich eine undokumentierte Einreise dieser Kontrolle entzieht, sind jene, die sie erleichtern oder sogar ermöglichen, Feinde – und sie werden auch so dargestellt: „Feinde“ tun eben nicht nur etwas böses, sondern, sie sind es auch. „Schlepper“ sind brutal und skrupellos – damit ist es legitimiert, dass besonders scharf gegen sie vorgegangen wird.
Hinter diesem Bild des „brutalen Schleppers“ verschwinden die, die migrieren und sich dafür Unterstützung suchen. Sie werden zu „passiven, armen Flüchtlingen“, deren Schwäche von der Gier der „Schlepper“ ausgenutzt wird um ihnen noch den letzten Cent aus der Tasche zu ziehen.

Obwohl auch Frauen* nach dem Paragrafen verurteilt werden, gibt es in dieser Sichtweise eigentlich keine „Schlepperinnen“, brutal und ausbeuterisch sind Adjektive, die Männern* zugeordnet werden. Frauen* werden vor allem als Opfer dargestellt. Wenn es um Frauen und „Schlepperei“ geht, werden sofort Assoziationen zu so genanntem „Frauenhandel“ hervorgerufen. „Menschenhandel“ ist eigentlich juristisch von „Schlepperei“ abgegrenzt, weil der Begriff definitionsgemäß von einem Zwang ausgeht, der von einer konkreten Person ausgeübt wird um jemanden gegen seinen_ihren Willen von einem Ort zu einem anderen zu bringen. Vor allem – aber bei weitem nicht nur – wenn es um „weibliche“ Migration geht, verschwimmt in dem Begriff „Schlepperei“ der des „Menschenhandels“. Er wird zwar immer wieder auch gegenüber „Schlepperei“ abgegrenzt, gleichzeitig hat die Vermischung aber eine spezielle Funktion: Nämlich die Brutalität der „Schlepper“ zu bestätigen.

Ein Begriff, der teilweise als Alternative zu dem der „Schlepperei“ verwendet wird, ist „Fluchthilfe“. Der Begriff wurde ursprünglich für Handlungen verwendet, die Menschen geholfen haben, von der DDR nach Westdeutschland zu gelangen oder den so genannten Eisernen Vorhang zu durchqueren. Er wird auch zur Beschreibung von Menschen verwendet, die Verfolgten geholfen haben vor dem Nationalsozialismus zu fliehen. Der Begriff bezeichnet nicht nur jene, die die Hilfe ohne Gegenleistung bereitgestellt haben, sondern auch bezahlte Fluchthilfe, aber er stellt den Aspekt der Hilfe in den Vordergrund und ist positiv konnotiert.

Der erste Teil den Wortes unterstreicht den Grund, warum die Menschen, denen geholfen wird, Grenzen überqueren: Sie flüchten. „Flucht“ ist ein Migrationsgrund, der mit der Genfer Flüchtlingskonvention relativ strikt definiert wurde. Im allgemeinen Sprachgebrauch bezieht sich der Begriff Flucht vor allem auf Verhältnisse in dem Land, wo eine Person bisher lebte. Menschen flüchten vor Krieg, Verfolgung, Unterdrückung. Eine besonders schlimme Situation in einem Land wird als legitimer Grund zu emigrieren gesehen (was sie natürlich ist). Das Problematische daran kann sein, dass das im Umkehrschluss oft suggeriert, dass es auch Umstände gibt, die anscheinend kein legitimer Grund sind zu migrieren – der Begriff der „Wirtschaftsflüchtlinge“ drückt zum Beispiel diese Vorstellung aus. Privilegierte Fremde (Behörden, Medien, einer westliche Mehrheitsgesellschaft…) bewerten, ob eine Person das Recht hat einen Staat zu verlassen je nachdem wie schlimm ihre Lebenssituation im Herkunftsland beurteilt wird.
Bezogen auf die geschichtliche Bedeutung des Begriffs „Fluchthilfe“ muss bei seiner Deutung auch ein – nicht nur während des Kalten Krieges relevanter – Antikommunismus mitgedacht werden. Die realsozialistischen Regime stellten einen legitimen Fluchtgrund dar, die Emigration aus der DDR wurde von der BRD vor allem aus ideologischen Gründen als etwas Positives dargestellt.

Der_die Fluchthelfer_in ist im Gegensatz zum „Schlepper“ ein_e Held_in, er_sie rettet Leben.
Was dieser Begriff aber nicht wirklich beachtet, sind die Interessen der „Fluchthelfer_innen“. Der Begriff suggeriert (auch wenn er im strengen Sinne mehr bedeutet), sie würden aus karitativer Motivation heraus handeln – eben jemandem helfen. Tatsächlich tun und taten das viele Menschen. Andere Menschen unterstü(t)zen aus Verpflichtungsgefühl gegenüber anderen, weil sie aus demselben Dorf sind, weil sie selber in einer ähnlichen Lage waren, weil es um Freund_innen oder Bekannte geht oder aus politischen Überlegungen. Manche dieser Personen, lassen sich ihre Ausgaben zurückerstatten, manche zahlen selber Teile der Reisekosten, Essen oder andere wichtige Dinge. Tatsächlich gibt es aber auch Personen, die sich nicht nur ihre Ausgaben zurückerstatten lassen, sondern sich auch ihren Aufwand bezahlen lassen oder deren Interesse es ist, Geld zu verdienen. Und schließlich gibt es jene, die die Illegalisierung von Menschen ausnutzen, falsche Wege nennen, andere über den Tisch ziehen oder mit der Polzei zusammenarbeiten..

Die geschlossenen Grenzen und die mangelnden Möglichkeiten für viele Menschen Grenzen „legal“ zu überqueren, erzeugen einen Markt, in dem Dienstleistungen verkauft werden, die den Grenzübertritt erleichtern oder ermöglichen. Die gesetzlichen Regelungen für Migration, Grenzkontrollen und militärische Bewachung von Grenzgebieten erzeugen unter Umständen Mehraufwand (Papiere fälschen, Beamt_innen bestechen etc.) und machen diese Dienstleistungen erstens illegal und zweitens gefährlich. Gefährlich nicht nur für jene, die die Grenze überqueren wollen, sondern auch für jene, die ihnen dabei helfen – und zweitere lassen sich (nach Marktlogik) den Aufwand und das Risiko oft auch bezahlen.
Nachdem dieser Markt ja illegalisiert ist und viele Staaten ein gewisses Interesse daran haben, ihn zu zerschlagen beziehungsweise in einem gewissen Rahmen zu halten, baut sich zwischen staatlicher Repression, Illegalität, und Gewinninteresse eine Struktur auf, in der oft nicht das Ziel ist, dass Menschen geholfen wird. Andererseits besteht sehr wohl ein strukturelles Interesse daran, dass die Dienstleistung, die angeboten wird – der Grenzübertritt – funktioniert, denn nur dann fließt Geld und andere „Kund_innen“ werden angeworben. Andererseits führt die Illegalisierung und die Repression dazu, dass sich leichter Strukturen aufbauen können, die gewalttätiger und ausbeuterischer sind als der Markt von „legalen“ Dienstleistungen.
Ein Begriff, der diesen Aspekt in den Vordergrund stellt, ist die Wortkonstruktion „Grenzübertrittsdienstleistung“.

Zusammengefasst kann also gesagt werden, dass der Begriff „Schlepperei“ den ausbeuterischen Aspekt, den diese Hilfestellung haben kann, isoliert. Er blendet erstens die Umstände aus, die zu dieser Ausbeutung führen, verschweigt zweitens gänzlich die Gründe, warum Menschen Grenzen überqueren und stellt Migration als Gefahr dar. Der Begriff Fluchthilfe wiederum heroisiert Handlungen, die Menschen nicht immer aus Interesse an dem Wohlergehen von anderen machen und reproduziert die Vorstellung, dass Flucht (gemeint im Sinne der Genfer Konvention) der einzige legitime Grund sei, Grenzen undokumentiert zu überqueren.
Abgesehen davon, dass der Begriff „Grenzübertrittsdienstleistleistung“ im Deutschen sehr sperrig ist, bietet er Raum für eine generelle Kapitalismuskritik. Trotzdem sind in dem Begriff an sich nicht die Umstände enthalten, unter denen die Dienstleistung angeboten wird – die Illegalisierung dieses Marktes, der erst durch die Abschottung und Bewachung der Grenzen entsteht. Andererseits ist das Wort „Grenzübertritt“ weniger wertend in Bezug auf die Gründe, warum migriert wird. Gleichzeitig beinhaltet er aber nicht, dass der Grenzübertritt, um den es geht, illegalisiert ist oder Umstände, die zu Migration fürhen.
Außerdem ist es wichtig anzumerken, dass alle diese Begriffe kaum selbst von Reisenden ohne Papieren verwendet werden, sondern eher von jenen, die über sie sprechen.

Es drängt sich die Frage auf, ob ein Begriff überhaupt alles das beinhalten kann, was er ausdrücken soll. Vor allem im Bezug auf dieses Thema ist es wahrscheinlich nicht möglich. Was aber vielleicht ein guter Maßstab dafür sein könnte ob ein Begriff passt, ist die Frage, inwiefern er das herausstreicht, was gerade im Fokus steht.
Wir haben uns deswegen dafür entschieden, wenn es um die rechtliche Kriminalisierung von“Fluchthilfe“ und „Grenzübertrittsdienstleistungen“ geht, das Wort „Schlepperei“ teilweise weiter zu verwenden, aber unter Anführungszeichen zu schreiben und in klarem Bezug zu dem Paragrafen 114 FPG zu setzen. Denn dort wird genau dieser Begriff verwendet und hat die bestimmte Aufgabe, die oben erklärt wurde.
Nachdem wir gleichzeitig für eine Welt kämpfen, in der alle Personen Bewegungsfreiheit haben um dort zu leben, wo sie gerne leben möchten, möchten wir keine Begriffe verwenden, die Migration unter bestimmten Umständen legitimiert, damit aber andere ausschließt. Es reicht uns nicht, dass noch zusätzliche Fluchtgründe wie „ökonomische“ einbezogen werden – wir lehnen jede Fremdbestimmung über die Legitimität von Migration ab. Damit soll aber auf gar keinen Fall ein Umzug in ein anderes Land mit einer Flucht vor Verfolgung gleichgesetzt werden.

Uns ist es deswegen weniger wichtig, einen passenden Titel für diesen Prozess zu finden, sondern in dem was wir tun und was wir schreiben auf die Kriminalisierung von Migration und der Protestbewegung aufmerksam zu machen und den strukturellen und expliziten Rassismus der Polizei und des Justizsystems sichtbar zu machen.