Der vierte Verhandlungstag begann mit einer Überraschung: Die Richterin gab bekannt, dass sie nach dem nächsten Verhandlungstag den Prozess auf unbestimmte Zeit vertagen wird, da es in den Polizeiakten Faktenidentitäten gibt, bzw. sich die Anklagepunkte teilweise überschneiden. Deswegen kann das Beweisverfahren, wie sie es sich vorgestellt hatte, nicht durchgeführt werden. Sie macht darauf aufmerksam, dass nach der alten Strafprozessordnung so eine Anklageschrift an den_die Untersuchungsrichter_in zurückgehen würde. Nachdem sich die Prozessordnung geändert hat, wird nun die Richterin die Anklageschrift überarbeiten. Wie lange das dauern wird, ist unklar. Sobald die überarbeitete Version fertig ist, werden neue Verhandlungstage ausgeschrieben.
Außerdem stellt die Richterin den sechs Angeklagten, die noch immer in U-Haft sitzen, implizit eine Enthaftung für den nächsten Tag in Aussicht. Wir bleiben allerdings skeptisch und warten gespannt auf den morgigen Verhandlungstag.
Danach wurden der Erst- und der Zweitangeklagte einvernommen. Im Publikum waren etwa zwanzig solidarische Prozessbeobachter_innen, es waren alle sieben Verteidiger_innen durchgehend anwesend. Die Beschuldigten, die bereits einvernommen wurden, saßen auf der Anklagebank, jene die noch in Untersuchungshaft sitzen, sind von Justizwachbeamten in den Saal geführt worden. Diese blieben wie üblich während der gesamten Verhandlung vor dem Publikum sitzen.
Außerdem befand sich im Publikum ein Mann, der zu Beginn Fotos von den Prozessbeobachter_innen machte (der Verfassungsschutz?), sowie zwei zivile Polizisten, die sich immer wieder Notizen machten. Nach der ersten Pause machte ein Verteidiger die Richterin auf die beiden aufmerksam und forderte die Aufklärung ihrer Identität. Die Richterin unterbrach ihn barsch und meinte, dass sie ja auch die Identität der anderen Anwesenden nicht überprüfe. Sie merkte lediglich an, dass etwaig anwesende Zeug_innen den Verhandlungssaal verlassen müssen. Der Verteidiger meinte, dass, falls die Anwesenden Teil einer polizeilichen Amtshandlung seien, er wenigstens die Dienstnummern der Beamten erfahren
will. Die Richterin lehnte ab.
Bis zur Mittagspause wurde der Erstangeklagte einvernommen, wobei sich viele Fragen im Vergleich zu den Einvernahmen der anderen Angeklagten wiederholten. Es wurde immer wieder nach den Spitznamen gefragt, die Bedeutung der Spitznamen „Pathan“ und „Mitr“ sollten nun hinreichend geklärt sein. Mittlerweile lässt die Richterin davon ab, die Angeklagten zu fragen, ob sie Leute „geschleppt“ hätten, sie fragt stattdessen, ob sie jemandem geholfen hätten und dafür Gegenleistungen wie Essen oder Alkohol bekommen hätten. Ebenso wurde das Verhältnis der Angeklagten zueinander abgefragt und damit wieder festgestellt, dass sich einige von ihnen erst im Gefängnis kennengelernt hatten. Der Versuch der Richterin Suggestivfragen zu vermeiden, führte dazu, dass sie zum Beispiel fragte: „Warum sind diese Personen nach Österreich gekommen? Haben sie hier Urlaub gemacht?“ Zynismus pur.
Wie schon an den anderen Tage befragte die Richterin die Angeklagten oft in der dritten Person. Der Schöffe wollte anscheinend auch etwas beitragen und fragt den Erstangeklagten, der in der Einvernahme schon zwei Mal erwäht hatte, dass er Analphabet ist, ob er vielleicht einen Kalender oder andere Aufzeichnungen geführt hätte, wegen der er sich an die Vorfälle erinnern könne.
Nach der Mittagspause wurde dann der Zweitangeklagte einvernommen. Auch das lief auf ähnliche Art und Weise ab.
Um 13:38 wird die Verhandlung beendet, zwei Stunden vor dem angesetzen Ende.
Es scheint, als würde die Richterin die Beschuldigtenvernehmungen so schnell wie möglich zu Ende bringen wollen, da mit der vorliegenden Anklageschrift und der Aktenlage, nicht viel anzufangen ist.