Im Herbst 2012 wehrten sich europaweit verstärkt Geflüchtete, Non-Citizens und Asylwerber*innen gegen die europäische Migrations- und Asylpolitik. Sie organisierten politische Streiks in Asyllagern, schlossen sich auf Protestcamps in Städten zusammen und forderten auf unzähligen Demonstrationen und Protestmärschen eine Veränderung der Migrationspolitik. In Wien organisierte etwa zeitgleich eine Gruppe somalischer Geflüchteter Proteste vor dem österreichischem Parlament, um auf die schwierige Situation von Asylweber*innen und Migrant*innen in Österreich aufmerksam zu machen. Aus der Vernetzung verschiedener Protestaktionen entstand das „Refugee Camp“ im Sigmund-Freud-Park – Startpunkt dieser kurzen Chronologie der Geschehnisse im Vorfeld der Anklage.
24. November 2012: Protestmarsch von Refugees und solidarischen Menschen vom Erstaufnahmezentrum Traiskirchen nach Wien, Aufbau und Einzug in das Refugee-Protest-Camp im Sigmund-Freud-Park in Wien.¹
01. Jänner 2013: Zwei neue Sonderkommissionen, die sich mit Ermittlungen rund um „Schlepperei“ befassen, beginnen ihre Arbeit unter der Leitung des Bundeskriminalamtes.
28. Juli 2013: Zehn der mittlerweile im Servitenkloster lebenden Aktivisten des Refugee-Protestcamps werden im Rahmen der ihnen auferlegten täglichen Meldepflicht bei der Polizei festgenommen.
29. Juli 2013: Acht Aktivisten werden trotz der ihnen dort drohenden Gefahren nach Pakistan abgeschoben. Die Proteste gegen die Abschiebungen werden medial breit rezipiert.
30./31. Juli 2013: Mehrere Personen werden wegen dem Vorwurf der „Schlepperei“ festgenommen, einige von ihnen Aktivisten des Refugee-Camps. Ihre monatelange Untersuchungshaft beginnt. Die Inhaftierten dürfen nur unter permanenter Überwachung besucht werden.
31. Juli 2013: Hausdurchsuchungen im Servitenkloster und in privaten Wohnungen
03. August 2013: Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) behauptet im Interview mit der Tageszeitung „Kurier“: „Wir wissen, dass es sich hier um einen Schlepper-Ring handelt, der auf die brutalste Art und Weise vorgeht. (…) Sie haben äußerst unmenschlich agiert. Wenn es etwa Probleme mit schwangeren Frauen auf der Schlepper-Route gab, dann wurden diese Frauen hilflos auf der Route zurückgelassen.“² Die Aussagen stellen sich später als falsch heraus und werden von der Staatsanwaltschaft widerlegt.³
Dezember 2013: Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt legt die Anklageschrift gegen acht Personen vor. Ihnen wird darin vorgeworfen, Mitglieder einer „kriminellen Organisation“ zu sein, die „organisierte Schleppungen“ durchgeführt habe. Ein Angeklagter erhebt Einspruch gegen die Anklageschrift, sie ist vorerst nicht rechtskräftig.
Die permanente Überwachung bei Besuchen in der Untersuchungshaft und somit auch der Zwang, mit Besucher_innen stets auf Deutsch oder Englisch (jenen Sprachen die vom Überwachungspersonal verstanden werden) zu sprechen, wird aufgehoben.
Jänner/Februar 2014: Zwei Personen werden nach mehrmaligen Anträgen auf Haftentlassung vorerst aus der Untersuchungshaft entlassen. Die Ablehnung ihrer Entlassung wurde zuvor unter anderem damit begründet, dass sie keine dafür ausreichenden „soziale Bindungen“ in Österreich hätten bzw. „nicht gut genug integriert“ seien.
29. Jänner 2014: Das Oberlandesgericht Wien bestätigt die Anklageschrift. Sie wird somit rechtskräftig.
17. März 2014: Prozessbeginn im Landesgericht Wiener Neustadt.
27. März 2014: Der Prozess wird aufgrund von Mängeln in den Akten vertagt. Jene sechs Angeklagten, die sich noch in Untersuchungshaft befanden, werden freigelassen.
6. Mai 2014: Nach mehr als einem Monat Pause geht der Prozess weiter.
22.Juli-8. September 2014: Erneut wird die Verhandlung über die Sommermonate unterbrochen. Die Verhandlung wird vorerst bis 1. Oktober angesetzt, bald zeigt sich aber, dass die angesetzten Tage nicht ausreichen werden um die vielen überwachten Telefonate zu hören. Der Prozess wird bis zum 4.Dezember verlängert.
10. September 2014: Die Staatsanwaltschaft verliest die modifizierte Anklageschrift, nachdem sich in den letzten Monaten herausgestellt hatte, dass manche „Taten“ den Angeklagten mehrmals als unterschiedliche Anklagepunkte angelastet worden waren. Insgesamt wird die Anklageschrift aber durch die Umformulierung noch schwammiger, in dem z.B. die Formulierung „nach Österreich“ durch „durch/über Österreich oder ein Land der EU“ ausgetauscht wird. Weiterhin geht es um „unbekannte Geschleppte“, „unbekannte Täter“ in Ungarn und Griechenland und oftmals unbekannte Geldsummen.
4. Dezember 2014: Vorerst letzter Verhandlungstag. Vorgesehen sind Plädoyers und eventuell Urteilsverkündung. Aufruf zu solidarischer Unterstützung!
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¹ Eine Timeline der Protestbewegung gibt es hier: http://refugeecampvienna.noblogs.org/timeline/
² Interview im Kurier vom 3. August 2013: http://kurier.at/politik/inland/fremdenpolitik-johanna-mikl-leitner-wir-sind-nicht-auslaenderfeindlich/21.450.436
³ Artikel im Falter 32/13, http://www.falter.at/falter/2013/08/06/beinharte-posse/