Ein Überblick über die Geschehnisse in den Gerichtsverhandlungen von März bis November 2014

Mitte März begann der Prozess gegen die acht Personen, die wegen Schlepperei im Rahmen einer kriminellen Vereinigung angezeigt waren. In den ersten Tagen wurden die Angeklagten einvernommen. Jedoch kam es gleich am ersten Tag zu einer Unterbrechung. Im Gericht waren drei Dolmetscher_innen, zwei für Urdu bzw. Punjabi und eine für Farsi, anwesend. Zu Beginn der Verhandlung gab die Richterin Petra Harbich bekannt, dass es nur wenige gerichtlich beeidete Dolmetscher_innen für Farsi gibt und die hier Anwesende deswegen nur „sprachkundig“ ( nicht beeidet) ist. Bei der Abspielung eines überwachten Telefonats, fragte die Staatsanwältin Gunda Ebhart schließlich, wie das Wort „Schleppungswillige“ auf Punjabi zu übersetzen sei. Die beiden Punjabi-Dolmetscher erklärten, dass es kein Wort dafür gibt. Daraufhin meldete sich die Farsi-Dolmetscherin zu Wort und erklärte, dass das Gespräch „schlepperrelevant“ sei und deswegen so übersetzt wurde. Es stellte sich heraus, dass sie monatelang bei den Telefonüberwachungen in der Soko Schlepperei mitgearbeitet hatte und deswegen zu wissen glaubte, ob ein Gespräch schlepperrelevant sei oder nicht – ohne dass in diesem Gespräch „Schleppung“, „Schleppungswilliger“ oder „Schlepper“ genannt würde. Daraufhin beantragten alle Anwält_innen die Ladung jener Dolmetscher_innen, die bei der Verschriftlichung der Telefonate im Ermittlungsverfahren mitgearbeitet hatten. Beim nächsten Verhandlungstag wurde die Dolmetscherin ausgewechselt.
Einer der Angeklagten bekannte sich nicht schuldig, die anderen bekannten sich teilweise schuldig, jedoch mit den Worten: „Ja, ich habe jemandem geholfen.“
Befragt zu den teilweise belastenden Polizeieinvernahmen gaben einige an, so nie ausgesagt zu haben und dass ihnen ihre Aussagen auch nicht rückübersetzt wurden. Außerdem wiesen sie des öfteren darauf hin, dass die einvernehmenden Beamten ihnen gedroht hatten und Fotos gezeigt hatten, auf denen sie bei Demonstrationen vom Refugee Protest zu sehen waren.
Nach fünf Verhandlungstagen, in denen die Angeklagten weiter befragt wurden, war wohl auch der Richterin klar, dass die Anklageschrift das, was sie suggeriert, nicht halten wird. Nachdem sie die Vertagung des Prozesses verkündete, um den chaotischen Akt der Polizei zu sortieren, legte sie den Anwält_innen nahe, eine Enthaftung für jene sechs Angeklagten, die zu diesem Zeitpunkt noch im Gefängnis waren, zu beantragen. Dem geplanten Antrag der Verteidiger_innen kam die Staatsanwältin am nächsten Tag zuvor, da sie mittlerweile (nach über einem halben Jahr Untersuchungshaft) auch eine „Unverhältnismäßigkeit“ der Haftdauer verortete. Alle Angeklagten wurden daraufhin am 27.März enthaftet.

Einvernahme der Dolmetscher_innen

Der Prozess wurde nach der Haftentlassung wegen dem unglaublich chaotischen Akt auf Anfang Mai vertagt. Er begann wieder mit der Einvernahme der Polizeidolmetscher_innen.
Die Übersetzungen sind sehr wichtig in diesem Prozess, denn die gesamte Anklage basiert hauptsächlich auf Telefonüberwachungen – also eigentlich auf den Übersetzungen der Telefongespräche.
Schnell wurde deutlich, dass die Arbeit der Übersetzter_innen, die bei den Ermittlungen mit der Polizei zusammenarbeiteten, nicht nur schlecht und fehlerhaft sind, sondern auch tendenziös, selektiv und vorverurteilend. Die ermittelnde Polizei hatte massiven Einfluss auf die Übersetzungen. Meist übersetzten die Dolmetscher_innen zuerst mündlich, die Polizei entschied dann was belanglos war und in welchem Kontext die Aussagen zu sehen sind. Die TÜ-Protokolle im Akt geben jedoch den Anschein von wortwörtlichen Übersetzungen.
Die erste Dolmetscherin Diba Sayed gab an, Aussagen, auf die sich die Anklage maßgeblich stützt, wie „Die Leute sind gekommen“ in „Die Schleppungswilligen sind gekommen“ übersetzt zu haben, da das Gespräch als „schlepperrelevant“ definiert wurde. Die Dolmetscherin, die seit etwa 5 Jahren mit der Polizei zusammenarbeitet, gab an, noch nie etwas von Unschuldsvermutung bzw. dem Zweifelsgrundsatz¹ gehört zu haben – dementsprechend zeigte sie auch keine Skepsis gegenüber der Vorgehensweise.

Auch der zweite einvernommene Dolmetscher Rahim Sayed, der Bruder von Diba Sayed, war vor allem in Dari und Farsi „sprachkundig“, übersetzte aber auch in Urdu und Punjabi. Er schaffte es, trotz 5 Jahren Praxis bei Polizeieinvernahmen, nicht die Rechtsbelehrung, die Beschuldigten am Anfang einer Einvernahme ihre Rechte erklärt, wortwörtlich in Punjabi zu übersetzen.
Auch von den nächsten beiden einvernommenen Dolmetschern Rafi Ahmad und Hammad Rafi ( Vater und Sohn) wurde nicht geleugnet, dass Wörter wie „Schleppungswillige“ im Originalgespräch gar nie vorkommen (es gibt dafür kein Wort auf Punjabi), sondern das aus dem „Kontext“ herausinterpretiert wurde. Weiters wurden in Pakistan gebräuchliche Bezeichnungen wie „Mitr“ (allgemein für Menschen aus Indien) und Pathan (allgemein für Menschen aus Afganistan oder Nordpakistan) als spezifische Bezeichnungen bzw. „Alias-Namen“ vermeintlich beteiligter Einzelpersonen behandelt und mit Angeklagten identifiziert.
Die Einwände, dass es die Aufgabe von Dolmetscher_innen ist, wortwörtlich zu übersetzten und nicht zu interpretieren oder „Schleppereirelevantes“ zu filtern, schien auch während der Verhandlungen nicht angekommen zu sein.

Einvernahmen der ermittelnden Polizist_innen

In weiterer Folge gab es Einvernahmen von einigen Polizist_innen. Gruppeninspektor Martin Unger und Bezirksinspektor Rudolf Kranz sowie Chefinspektor Bernhard Korner waren die ermittelnden Beamten der Soko Schlepperei² und somit die wichtigsten Zeugen in diesem Zusammenhang. Interessant ist, dass Mitarbeiter der Soko Schlepperei den ganzen Zeitraum der Zeugeneinvernahmen im Gerichtssaal anwesend war, seitdem bekannt geworden war, dass Unger, Kranz, Korner und die Polizei-Dolmetscher_innen als Zeug_innen einvernommen werden.
Bei den Einvernahmen wurde beleuchtet, wie der chaotische Aktenberg zustande kam. Es gab zwei mehr oder weniger parallel verlaufende Ermittlungen der Soko, die erst nach den Festnahmen vom Landesgericht in Wiener Neustadt zusammengelegt wurden. Martin Unger führte aus, dass einer der Angeklagten über die Telefonüberwachung einer anderen Person in die Ermittlungen gekommen war und so der Reihe nach die Telefonüberwachungen ausgeweitet wurden.
Die andere Ermittlung begann mit einer Zeugenaussage in Traiskirchen. Dieser Zeuge belastete einen der Angeklagten, der sofort auch überwacht wurde. Die Motivation des Zeugen für seine Aussage wurde zu keinem Zeitpunkt von der Polizei überprüft und vor Gericht wurde die Aussage auch zurückgezogen. Es gibt berechtigte Gründe der Befangenheit des Zeugen aufgrund von Konflikten in der Vergangenheit.
Außerdem stellte sich während der Gerichtsverhandlung heraus, dass Verfahren gegen andere Verdächtige eingestellt wurden. Unklar blieb, was der Grund dafür war, die Menge oder Kraft an vermeintlichen Beweisen kann es jedenfalls nicht gewesen sein.
Zu der medialen Diffamierung, die nach den Verhaftungen stattgefunden hatten, gab Martin Unger lediglich an, dass von Seiten der Soko nie etwas über eine schwangere Frau, die auf der Fluchtroute zurückgelassen wurde, kommuniziert worden war. Da wäre wohl etwas durcheinander gekommen beim BMI.³
Die einzigen wesentlichen „Beweise“, auf die sich die Anklage stützt, sind die Telefonüberwachungen. Daneben gibt es noch nichtssagende Observationsberichte, die nicht erkennbar in den Akt „eingearbeitet“ wurden, sonst nur die Berufung der Polizist_innen auf ihre „Berufserfahrung“. Dem Anschein nach besteht diese „Erfahrung“ vor allem darin, alles was Personen mit prekärem Aufenthaltsstatus machen, als verdächtig einzustufen. So sei es verdächtig, sich im Votivpark zu treffen (das Ziel dieser Treffen wäre hauptsächlich das Umgehen von Überwachung) und schon allein die Bekanntschaft mit bestimmten Personen sei belastend. Auch die Frage danach, warum bestimmte Personen am Bahnsteig in Meidling kontrolliert wurden und angeblich gleich als „Schlepper“ zu erkennen waren, wurde wiederum mit der „Berufserfahrung“ der Beamt_innen argumentiert.
Der andere Teil der „Erfahrung“ besteht wohl darin, einen Akt so zu schreiben, dass ein belastendes Bild entsteht. So wurden kommentarlos Fotos beigelegt, auf denen irgendeine Person zu sehen ist, die viel Geld in der Hand hat, obwohl die Soko schon im Ermittlungsverfahren beschlossen hatte, diese Person nicht ins Verfahren einzubeziehen. Entlastendes Material wurde dagegen nicht wahrgenommen. Auf einem Flipchart, das die Telefonverbindungen der Angeklagten visualisieren sollte, schienen auch die Nummern von Personen auf, die gar nicht überwacht worden waren.
Die gravierenden Übersetzungsfehler, die sich im Laufe der Hauptverhandlung zeigten, wurden seitens der Richterin und der Staatsanwältin wenig zur Kenntnis genommen, der Prozess wurde gewohnt routiniert fortgesetzt. Ein Teufelskreislauf wurde ins Rollen gebracht: Eine Person ist verdächtig, weil sie mit einer anderen Person z.B. in Ungarn Kontakt hat. Diese Person ist wiederum verdächtig, weil sie mit der Person in Österreich Kontakt hat.

Modifizierte Anklageschrift und Abspielen der Telefonate

Vor der Sommerpause im August modifizierte die Staatsanwältin Gunda Ebhart die Anklageschrift, da viele Telefonate doppelt als Beweismittel herangezogen wurde, was zu „Faktenüberschneidungen“ führte. Die Anklageschrift wurde jedoch nicht, wie nach den vorhergegangenen Verhandlungen zu vermuten gewesen wäre, entschärft. Ebhart strich nicht einmal eine Hand voll der über fünfzig Anklagepunkte weg und formulierte andere Punkte so um, dass sie noch schwammiger wurden. Statt der Hilfe bei der „Einreise“ wurde nun die bei der „Ein- und Durchreise“ angeklagt, statt der bei einer „Weiterreise nach Deutschland“, die bei einer „Weiterreise in ein weiteres Land der Europäischen Union.“ Damit waren auch die Unmengen an „Faktenüberschneidungen“ nicht bereinigt.

Nachdem die geladenen Zeug_innen einvernommen waren, wurde im September nach mittlerweile schon mehr als 20 Verhandlungstagen damit begonnen, die einzelnen Anklagepunkte durchzugehen und die von der Polizei zugeordneten Telefonüberwachungsprotokolle anzuhören oder die Übersetzung vorzulesen. Gleichzeitig wurden die Angeklagten dazu befragt.
Dieses Prozedere dauerte bis November (mehr als 10 Verhandlungstage lang), danach wurden noch jene Aktenteile durchgegeangen, die noch nicht besprochen wurden, um dann am 4. Dezember, dem 42. Verhandlungstag, mit den Plädoyers der Staatsanwältin und der Verteidigung die Hauptverhandlung zu einem Ende zu bringen.

——————-
¹ „Im Zweifel für den Angeklagten“
² Siehe dazu auch den Text zu den Sonderkommissionen in dieser Broschüre.
³ Die mediale Diffamierung der Angeklagten half im Sommer 2013 die umstrittenen Abschiebungen von 8 protestierenden Refugees zu rechtfertigen. Unter anderem wurde berichtet, dass sie schwangere Frauen hilflos auf der Reiseroute zurück gelassen hätten. (Im gesamten Verfahren gibt es keinen Hinweis auf soetwas.)