Statement zur aktuellen Öffentlichkeit für den „Schlepperei“-Fall

Seit der Vertagung des “Schlepperei”-Prozesses und den Enthaftungen aller Angeklagten wird die Fadenscheinigkeit der Anklageschrift und die dünne Beweislage durch die Medien hindurch breit thematisiert. Es scheint, als sei der Hinweis auf die übermotivierte Staatsanwaltschaft und eine problematisch ausdehnbare Gesetzeslage erst seit der Reaktion der Richterin eine relevante Information. Dass die Öffentlichkeit der österreichischen Justiz erst kritisch gegenüber steht, wenn die Gerichte ihre eigene Gerichtsbarkeit in Zweifel ziehen, spricht für sich.
Die Erkenntnis, dass die Grundlage für diesen Prozess aus unverhältnismäßigen Hochrechnungen, schwammigen “Erfahrungswerten” und Konstruktionen von “kriminellen Vereinigungen” seitens der SOKO-Beamt_innen besteht, ist nicht der Richterin zu verdanken. Ihre Entscheidung, den Prozess zu vertagen, um die Beweislage neu aufarbeiten zu können, und alle Angeklagten aus der U-Haft zu entlassen, war ihre einzige Möglichkeit, das Gesicht der österreichischen Justiz zu wahren und eine größere Blamage zu umgehen.

Erstaunlich ist, dass Organisationen, die sich zuvor schockiert über die “kriminellen Machenschaften” und das angeblich “brutale” Vorgehen der Angeklagten äußerten, jetzt zumindest medial die Seite gewechselt haben.
Nicht nur die Caritas distanzierte sich, kurz nachdem die absurden Vorwürfe von Innenministerin Mikl-Leitner in die Welt gesetzt wurden, von den Angeklagten und sicherte den ermittelnden Behörden “vollste Kooperation” zu. Nachdem der “Schlepperei”-Prozess nun offiziell zum Justizskandal wurde, wechselt auch die Caritas die Seite.
Während Klaus Schwertner im Juli die Angeklagten noch als „schwarze Schafe“1 bezeichnet hatte (nicht nur eine Diffamierung, sondern auch rassistisch!2), liest sich das neue Statement linientreu mit der öffentlichen Meinung: “Mit der Entscheidung der Staatsanwältin, alle Beschuldigten zu enthaften, tritt im Prozess um acht Asylsuchende ein, was die Caritas von Anfang an vermutet hat”, nämlich, dass es “zutiefst beunruhigend” sei, “wenn man sich vor Augen führt, welche Vorwürfe hier von Seiten der Behörden – des Innenministeriums und des Bundeskriminalamts – kolportiert wurden.”3

Was dieser “Justizskandal” für die Angeklagten heißt, wird in der Debatte um den Prozess häufig nicht thematisiert. Acht Monate Haft, isoliert von Freund_innen, ohne Kontakt zur Familie, Verlust von Vermögen, Wohn- und Arbeitsplatz; Stigmatisiertung.
Hinzu kommen Schicksalsschläge, von denen die Enthafteten erst in den letzten Tagen erfahren haben. Einige von ihnen haben Familienangehörige verloren und müssen sich nun um viele grundlegende Angelegenheiten kümmern.
Auch die momentane relative Freiheit bleibt überschattet vom Ausblick auf die folgenden Prozesstermine: Die Staatsanwaltschaft sieht den Tatbestand weiterhin als gegeben an und wird von ihrem Vorhaben, ein hartes Strafmaß zu erwirken, nicht absehen.

Die Enthaftungen zeigten außerdem wieder einmal, wie absurd das System Gefängnis ist: Nachdem die Staatsanwältin den Enthaftungsantrag gestellt hatte, konnte eine Unterschrift innerhalb von wenigen Minuten sechs Personen die (relative) Freiheit zurückgeben. Bei den zwei zuvor enthafteten Personen waren so genannte ‘Integrationsschreiben’ und Bestätigungen über bereits vororganisierte Deutschkurse, Wohnungen und die Finanzierung der Lebenskosten notwendig. Auch damit war es erst möglich, die Freilassung zu bewirken, nachdem eine Berufung gegen die negative Entscheidung des Enthaftungsantrages eingelegt wurde.

Selbsverständlich freuen wir uns über die Enthaftungen der Angeklagten. Dennoch bleiben wir dabei: Jede Sekunde im Gefängnis war eine zu viel!

Dass Medien die Vorgehensweise der Behörden in diesem Fall nun skandalisieren ist gut, aber das, was hier passiert, ist kein Einzelfall. Der „Schleppereiparagraf“ ist Grundlage unzähliger rassistischer Ermittlungen und Verurteilungen. Das Gesetz ist Teil eines Grenzregimes, das durch offenen und unterschwelligen Rassismus Bewegungsfreiheit von bestimmten Menschen einschränkt und kriminalisiert. Andere Beispiele sind Verfahren gegen sogenannte „Scheinehen”, Ermittlungen aufgrund von verhinderten Abschiebungen und die alltägliche polizeiliche Repression gegen Nicht-Staatsbürger*innen und Personen ohne Papiere.

Wir können die Darstellung von einem “Teilsieg der Justiz” nicht teilen und wollen den Prozess weiterhin als das thematisieren, was er ist: ein Beispiel von rassistischer und repressiver Politik.
Die Enthaftungen bedeuten noch keinen Freispruch, der Prozess geht weiter.
Der Kampf geht weiter.
Smash §114 FPG!

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1 http://www.caritas.at/aktuell/news/news/raw/artikel/7594/89/
1 Susan Arndt, Die 101 wichtigsten Fragen – Rassismus. München 2012. II, 20.
1 http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20140327_OTS0181/caritas-nimmt-zu-schlepperprozess-in-wr-neustadt-stellung