Der heutige Prozesstag startete wieder mal mit 45 Minuten Verspätung, da es Beeinträchtigungen im Zugverkehr gab – anscheinend in den Augen der Richterin ein legitimer Grund fürs Zuspätkommen, im Gegensatz zu Krankheitsfällen. Vor den Einvernahmen forderte die Richterin potenzielle Zeug*innen auf, den Raum zu verlassen. Eine Person, die ebenfalls wegen Schlepperei angeklagt ist, wurde des Saales verwiesen, da sie als Zeuge geladen wird. Dafür durften zwei Polizist*innen weiterhin im Publikum bleiben, trotz Aufforderung von Seiten der Verteidigung, den Grund der Observation bekanntzugeben – warum sie dem Prozess beiwohnen, bleibt weiterhin unklar. Es befinden sich ca. 15 solidarische Prozessbeobachter*innen im Publikum, die sich immer wieder lautstark bemerkbar machen.
Am Vormittag wurden der Geschäftsführer des Kolpingheims (Wohnheim für Asylwerber*innen und Studierende; Verwaltet von der Caritas) sowie ein Zivildiener des Kolpingheims einvernommen. Der Geschäftsführer gab einen kurzen Einblick in das Kontrollsystem der Caritas in Bezug auf Wohnheime: tägliche Anwesenheitskontrollen, Rausschmiss von „hausfremden Personen“ (nicht angemeldeter und von der Caritas legitimierter Besuch), Kooperation mit der Polizei. Trotz unzähliger Kontrollmechanismen kam es durchaus vor, dass des öfteren nichtgemeldete Personen dort übernachteten, somit kann er den Vorwurf der Polizei, dass die Angeklagten dort angebliche „schleppungswillige Personen zwischengebunkert“ hätten, weder bestätigen, noch widerlegen. Gleichzeitig wird deutlich, dass er der Darstellung der Polizei Glauben schenkt und dass er absolut bereit ist mit dem Gericht zu kooperieren: Die Daten, die sie ihren Behauptungen zufolge von Bewohner*innen sammeln, geben sie bereitwillig an die Behörden weiter. Im Anschluss daran wurde der Zivildiener einvernommen, der zu besagter Zeit im Kolpingheim tätig war. Im Großen und Ganzen bestätigte er die Angaben des Heimleiters. Die Tatsache, dass einer der Angeklagten regelmäßig einen Laptop verwendete, verwunderte augenscheinlich die beiden Zeugen – als ob Asylwerber*innen kein Bedürfnis nach Kommunikation hätten!
Nach einer längeren Mittagspause wurde eine Caritas-Betreuerin des Servitenklosters und nocheinmal der Polizei-Dolmetscher in den Zeug*innenstand gerufen.
Auch im Servitenkloster hat die Caritas versucht, ihr komplexes Verwaltungs- und Kontrollsystem umzusetzen, jedoch stießen sie auf vielseitigen Widerstand der Bewohner: Weder schaffte es die Caritas durchzusetzen, dass die Bewohner in den ihnen zugewiesenen Zimmer übernachteten, noch konnten alle Personen, die sich im Kloster aufhielten, erfasst werden. Anwesenheitskontrollen versuchten einige Bewohner erfolgreich durch Abmontieren der Türklinken zu verhindern. Jedoch übermittelten sie täglich eine Liste mit persönlichen Daten der im Kloster Registrierten ans Bundesinnenministerium und somit auch an die Polizei.
Im Laufe ihrer Vernehmung stellte sich heraus, dass im Zuge ihrer Einvernahme bei der Polizei, von dieser Details zu ihrer Aussage hinzugefügt wurden, die sie selbst gar nicht wusste. Somit legten die Polizist*innen der Zeugin Aussagen in den Mund, die sie dann (ohne genau nachzulesen) unterschrieb.
Die unvollständige Einvernahme des Dolmetschers vom letzten Verhandlungstag wurde fortgesetzt: Es bestätigte sich erneut, dass dieser unter Einfluss der Polizist*innen interpretativ übersetzt hat, im „Kontext der Schlepperrelevanz“ (um Wiederholungen zu vermeiden, verweisen wir auf das Protokoll des 7. Verhandlungstages!).
Seine Begründungen für nicht wortwörtliches Übersetzen, sondern hineininterpretieren von Inhalten sind je nach Situation vielseitig:
1. Er habe Inhalte der Telefonüberwachungsprotokolle auf Nachfrage der Beamt*innen geändert.
2. Die Ermittler*innen seien angeblich so erfahren, dass sie ohnehin wüssten, wer mit welchen Wörtern in den Protokollen gemeint sei („Schleppungswillige“)
3. Mit der Zeit wurde aus dem Kontext der vielen überwachten Telefonate angeblich deutlich, dass es sich um „Schleppungswillige“ handeln würde.
Um das zu verdeutlichen, ließ die Verteidigung einige Telefonate im Gerichtssaal vorspielen und von den beeideten Gerichtsdolmetschern übersetzen – das Ergebnis: Die Inhalte dieser Übersetzungen deckten sich nicht mit der Übersetzung des Polizei-Dolmetschers. Einzelne Wörter wurden unterschiedlich übersetzt und viele Inhalte gekürzt oder gar gänzlich ausgelassen. Somit ist die gesamte Beweisgrundlage und damit die Relevanz der Telefonüberwachungsprotokolle in Frage zu stellen!
Um das zu unterstreichen, beantragte die Verteidigung zum Schluss noch die erneute Übersetzung mehrerer Telefonate durch die Gerichtsdolmetscher, was vermutlich zu einem späteren Zeitpunkt des Verfahrens geschehen wird.
Für die nächsten beiden Tage stehen nun die Einvernahmen der leitenden Polizisten der „SOKO Schlepperei“ an, was sicherlich interessant werden wird.