Statement on yesterdays proclamation of the verdict
***English below***
„Rechtspolitische Kritik“ sei nicht an sie, die Staatsanwältin, sondern an den Gesetzgeber zu richten, sagt sie und beharrt in großen Teilen auf eine zwanzig Seiten lange Ansammlung schwammiger Formulierungen die sich Anklageschrift nennt. Sie hat Recht, sie ist Rechtsanwenderin, was ihr angezeigt wird, ordnet sie einem der unzähligen juristischen Tatbestände der österreichischen Gesetzbücher unter. Dass Bestimmungen wie der §114FPG ihrer Funktion nach schlichtweg Migration kriminalisieren und auf einer rassistischen Trennung zwischen Menschen anhand ihrer Papiere aufbauen, egal wie viele Gesetzesreformen noch kommen sollten, ist dann nicht der Rede wert. Das Urteil, das sie von der Richterin fordert und am Ende des Tages auch bekommt, kriminalisiert einerseits eine Protestbewegung, andererseits hält es wie viele andere Entscheidungen, die das Justizsystem täglich wie am Fließband produziert, bestehende Ungleichheiten aufrecht: Wer kein Geld hat, dessen Straftaten sind gewerbsmäßig und insofern höher zu bestrafen – eine Formel die zwar juristisch nicht haltbar ist, so aber sinngemäß angewandt wurde. Es ist anscheinend auch nicht vorstellbar, dass Personen wie die Angeklagten solidarisch mit anderen sind, ohne Geld zu fordern. Gibt es keine Beweise für die vorschnell vorgeworfenen Grausamkeiten, dann werden unverständliche Redewendungen über „Lämmer“ und „Küken“ am Telefon schnell zu bedrohlichen Aussagen über ein straff durchorganisiertes Business.
Alles in allem seien die Angeklagten „kleine Rädchen“ eines größeren Netzwerkes, die eigentlichen Bosse irgendwo in Ungarn oder Griechenland, ungreifbar für die österreichische Justiz und gerade deshalb so gefährlich. Der Rückgriff auf den großen Boss, der nach einer Verhaftung in Wien wieder laufen gelassen wurde, ist Teil einer Argumentation, der sich auch die Anwält_innen immer wieder bedienen. Zwar zeigt sie die Brüche in der Logik der Sonderkommissionen, nichts desto trotz beruht das „Wissen“ über diese Personen auf dem selben Aktenchaos wie die haltlosen Vorwürfe gegen die Angeklagten. Sich darauf zu berufen stützt insofern trotzdem die Argumentation der Behörden.
Prozesse wie diese sind teuer für die Justiz, Kosten für Dolmetscher_innen, Untersuchungshaft und Räumlichkeiten sowie in diesem Fall zumindest ein gewisses Maß an (kritischer) Öffentlichkeit ließen Freisprüche für alle schon vor dem 4.Dezember unrealistisch wirken. Wie sollte die Justiz sonst ihre Handlungen legitimieren. Spätestens als bekannt wurde, dass aus „feuertechnischen Gründen“ die Anzahl der bei der Urteilsverkündung Anwesendenen am Eingang kontrolliert würde, Polizisten alle eintretenden Prozessbeobachter_innen abfilmten, sogar leere Plastikflaschen abgegeben werden mussten und der Schwurgerichtssaal von Cops umkreist war, ja, sogar ein Zivilpolizist mit den Angeklagten auf der Anklagebank saß, war wohl allen klar, dass es Urteile regnen würde.
Schlussendlich blieb tatsächlich alles beim Alten. „Eine nicht mehr exakt feststellbare Anzahl“ von Personen seien in „unbekannte Länder der Europäischen Union“ gebracht worden, für unbekannte Summen Geld, zusammen mit unbekannten Hintermännern. Sieben von acht Angeklagten wurden zu Haftstrafen zwischen 7 und 28 Monaten verurteilt, deren unbedingter Teil konsequent so angesetzt ist, dass er bereits in der Untersuchungshaft „abgebüßt“ ist, wie die Richterin es nennt. Keiner der acht Angeklagten muss also ins Gefängnis zurück, was nicht heißt, dass die Chancen auf Bleiberecht in Österreich für die Betroffenen dadurch nicht massiv verschlechtert werden. Wie sooft, verkündete Petra Harbich das Urteil zunächst auf Deutsch. Eine halbe Stunde warf sie mit juristischen Fachbegriffen um sich, die letzten, die wussten was los war, waren wieder einmal die Angeklagten, daran änderten auch Zwischenrufe aus dem Publikum nichts.
Medien berichteten, die Richterin wäre bei der Urteilsverkündung trotz Tumulten „cool“ geblieben. Es ist wahr, unbeirrt von Tränen, Zwischenrufen und Gefühlsausbrüchen der Angeklagten und der Zuschauer_innen verlas sie ein Urteil, dass schlicht und einfach ein weiterer gewalttätiger Akt ist wie er vom bürgerlichen Rechtsstaat notwendigerweise tag-täglich ausgeht. Am Schluss bleibt die Frage, wer hier wirklich die „kleinen Rädchen“ einer größeren bedrohlichen Struktur sind.
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Critique should not be adressed to her but to the legislator, says the state prosecutor and insits on twenty pages of vague phrases which make up the indictment. She is right, as a state prosecutor she only applies the law: Everything that is indicted she will classify it by the Austrian law. In this logic it is impossible to talk about the fact, that laws like §114 criminalize migration and are based on a racist distinction between people according to their papers. This will not change even if the paragraph itself should be changed. The sentence which the state prosecutor asks for – and will have confirmed by the judge, the end of the day – criminalizes a protest movement on the one hand and on the other keeps up social inequality, like many other decisions made in this justice system: Those who don’t have money are committing crimes commercially and should therefore be punished with high sentences – an idea which is not based on the law but was literally applied. Apparently it seems impossible that people are acting in solidarity with others without taking money for it. If there is no proof, some figurative phrases about “lambs” on the telephone are taken as evidence for a strikly organized business.
All in all the accused were “small wheels” in a bigger network, they say. The bosses are somewhere in Hungary or Greece, unseizable for the Austrian Justice, hence even more dangerous. Also the lawyers point on the fact that the “big boss” was released by the police. This argumentation illustrates the contradictions in the Sonderkommission’s logic (Sonderkommission = specialized police). Still, the “knowledge” about these “bosses” is based on the same chaotic files and investigations like the ones which form the weak accusation against the eight people. To refer to it therefore supports the argumentation of thepolice and the state prosecutor.
Trials like this are expensive for the state, there are costs for translators, pre-trial detention and keeping up buildings like the court. This, together with the (critical) public attention in this case, made any acquittals seem unrealistic – already before 4th December. How else would the judicary jusitfy it’s actions? At last when it was known that there will be a limited number of people allowed inside the courtroom for the proclamation of the verdict and every person was filmed by the police while entering the court, even empty plasic bottles had to be left at the entrance and the Courtroom was surrounded by police, and even one civil policemen was sitting with the accused at the dock, it was clear for everyone that there will be sentences.
Finally, everything stayed like it was. “An unknown number” of people should have been brought to “unknown countries of the European Union”, for unknown amounts of money, together with unknown backers. Seven out of eight accused got prison sentences from seven to 28 months, arranging their probation in a way that no one has to go to prison again so far. To not have to go to prison again does not mean that the sentence will not have a negative influence on their right to stay in Austria.
As usual, Petra Harbich read out the verdict in German first. Half an hour she was talking in juristic tongues, and as usual, the last ones who got to know what exactly is going on were the accused. Interjections from the audience did not change this either.
The media wrote that the judge stayed “cool” despite tumults. This is true, as despite tears, political interjections and emotional statements by the accused and by the audience she read out the verdict, which was just another violent act as done by the constitutional state every day. In the end the question which remains is who for real are the “small wheels” of a bigger, dangerous structure.