Aus der solidarischen Prozessbeobachtung entstanden für jeden Verhandlungstag kurze Berichte über die Geschehnisse. Hier sind sechs davon (teilweise) abgedruckt. Mehr findet ihr unter: http://solidarityagainstrepression.noblogs.org/prozessbeobachtung/prozessdokumentation/
Prozessbericht vom 22. Verhandlungstag am 11. Oktober 2014
Der 22. Verhandlungstag geht so weiter, wie der vorherige geendet hat. Die Richterin macht bei den Anklagepunkten weiter und gibt an, welche der überwachten Telefongespräche, laut Polizeiprotokollen, relevant sein sollen. Bei genauerer Betrachtung stellt sich dann heraus, dass die meisten davon nicht einmal mit viel Phantasie etwas mit den absurden Vorwürfen der SOKOs zu tun haben.
Einige Telefongespräche aus den Unmengen der Aufzeichnungen werden im Gerichtssaal vorgespielt. Dazwischen werden mehrere der Angeklagten abwechselnd befragt: ob sie ihre Stimme, oder die Stimmen anderer erkennen und worüber bei den Telefonaten gesprochen wird. Bei zwei Telefongesprächen unterbricht die Richterin die Verhandlung und lässt sie von den anwesenden Dolmetschern erneut übersetzen.
Insgesamt wird deutlich, dass die ermittelnden SOKO-Beamten jedes Gespräch, in dem es um andere Personen, Geld, Reisen oder etwa Wegbeschreibungen geht, als belangreich für ihre Ermittlungen eingestuft haben und dabei einfach jeder besprochene Sachverhalt zum “schlepperrelevanten” Tatbestand umgedeutet wurde.
Nach Abhandlung eines Punktes der Anklage werden die darin beschuldigten Angeklagten gefragt, ob sie sich schuldig oder nicht schuldig bekennen.
Der Erstangeklagte sagt, dass er zu seinen Fehlern steht. Und seine Fehler seien gewesen, dass er Leuten geholfen hat und solange er noch in Europa ist werde er das wohl nicht mehr tun. Ob er etwas dafür bekommen hat? Das sei ganz klar, acht Monate Untersuchungshaft und eine monatelange Gerichtsverhandlung.
Am 08. September 2014 wurde begonnen alle Anklagepunkte und die dabei angeführten Telefongespräche aus der Überwachung der SOKOs erneut zu verhandeln. Insgesamt wurden nur zwei der insgesamt fast 50 Anklagepunkte an diesem Tag durchgenommen. Damit steht in Aussicht, dass dieser Prozess noch lange weitergehen wird.
Prozessbericht vom 25. Verhandlungstag am 18. September 2014
…und wieder ein Tag mit Telefonüberwachungsprotokollen und Befragungen der Angeklagten.
Voraussichtlich einer von vielen, die uns noch bevorstehen. Zum nächsten Verhandlungstag am 24. 09.(der erst um 10:00 beginnen wird!) sollen weitere Prozesstermine bekannt gegeben werden.
Heute wurde der Fünftangeklagte viel befragt, aber auch der 1., 4. und 6. Angeklagte.
Festgestellt werden konnte, dass Reisen Geld kostet – mit dem Zug mehr als mit einer Mitfahrgelegenheit. Nach den Aussagen der Angeklagten bezahlt das die Person, die fährt, selber oder jemand überweist ihr Geld dafür. Teilweise haben auch die Angeklagten bezahlt, oder es wurde im Servitenkloster Geld für die Weiterreise gesammelt. Durchaus kriminelle Tätigkeiten.
Einem Angeklagten wurden Scherze und Angeberei am Telefon ein wenig zum Verhängnis, aber er konnte glaubwürdig erklären, dass 500 oder 600 Euro von Wien nach Deutschland niemand bezahlen würde.
Außerdem kam kurz die Anzeige ins Spiel, die ein Angeklagter gegen Bekannte von ihm wegen Steuerhinterziehung erstattet hatte. Er machte das Gericht darauf aufmerksam, dass diese ihm deswegen eins auswischen und ihn durch eine falsche Zeugenaussage wegen Schlepperei vor Gericht bringen wollten.
Die Stimmung im Gerichtssaal war eher angespannt, immer wieder werden Angeklagte und Verteidigung von der Richterin zurecht gepfiffen.
Für größere Aufregung sorgte die Frage eines Schöffen, der – nachdem ein Angeklagter erzählte, dass ihn unbekannte Personen am Bahnhof angesprochen haben, weil sie nach Italien wollten – fragte: „Wie waren sie da angezogen? So wie heute oder hat man da gesehen dass sie Pakistani waren?“. Die mit dieser Frage transportierte kulturrassistische Annahme, der Angeklagte hätte sich – seiner „Abstammung“ gemäß – anders anzuziehen, löste bei einigen Zuschauerinnen mittellaut artikulierten Unmut aus. Daraufhin platzte der Richterin der Kragen und sie forderte eine Prozessbeobachterin auf, ihren Ausweis zu zeigen oder den Saal zu verlassen.
Nach dem Zwischenfall ging das Spektakel wie gewohnt über die Bühne – dieses Mal bis dreiviertel 4.
Auszug aus dem Prozessbericht vom 26. Verhandlungstag am 24. September
Nach einiger Zeit sagt einer der Angeklagten, dass er nichts mehr zu alldem sagen will. Dieser Prozess mache ihn bereits krank, er könne sich nicht mehr konzentrieren, habe Kopfschmerzen. Die Verhandlung wirke sich auf seine Gesundheit aus. Er will bei diesem Spiel also nicht mehr mitmachen und antwortet danach nur noch sporadisch auf Fragen der Richterin und Staatsanwältin.
Es wird noch einmal besonders deutlich, dass es in dieser Verhandlung nicht darum geht, vermeintliche Beweise zu prüfen (diese existieren gar nicht), sondern durch die Aussagen der Angeklagten erst welche zu schaffen. Durch mangelnde Beweise wird dieser Prozess zu einem Ermittlungsverfahren.
Prozessbericht vom 27. Prozesstag am 25. September 2014:
Auffällig war, dass Telefongespräche teilweise als Beweise für mehrere Anklagepunkte herangezogen wurden. Auch dass die Ausreise von einer bestimmten Person zu mehreren Anklagepunkten gemacht wurde, zeigt wie aufgeblasen die Anklageschrift ist.
Ein Faktum, das heute verhandelt wurde, basiert auf so genannte „Indizien“ der Polizei. Dazu erinnerte ein Verteidiger, dass sogar der Chefermittler der Polizei, Martin Unger, zugab, bei „Indizien“ handelt es sich (im Gegensatz zu „Fakten“) um Telefongespräche, die selbst die Polizei keiner konkreten „Förderungshandlung“ zuordnen konnte. Der Verteidiger merkte an: „Ich verstehe deswegen nicht, warum es dazu überhaupt einen Anklagepunkt gibt.“ Tatsächlich stellte es sich im Laufe der Befragung heraus, dass sich die Gespräche um Arbeitsvermittlung als Zeitungskolporteur drehten.
Die Fragen, die gestellt werden, sind immer ähnlich: Ob der Angeklagte bei einem Grenzübertritt geholfen hat und wenn ja, ob und welche Zuwendungen er dafür erhalten hat; welchen Aufenthaltsstatus die betreffende Person hatte; in welchem Verhältnis sie zu den Personen standen (Verwandte, Personen aus demselben Dorf…)
Die Frage, ob Angeklagte für die Hilfe etwas bekommen hätten, wurde immer verneint – manchmal haben sie sogar selber draufgezahlt, Geld hergeborgt, Kleidung oder Essen spendiert – geholfen eben.
Beim x-ten Mal:
Die Staatsanwältin: „Hätten Sie etwas dafür bekommen sollen, dass sie für ihn eine Mitfahrgelegenheit organisiert haben?“
Fünftangeklagter: „Nur Liebe.“
Prozessbericht vom 28. Verhandlungstag am 10. November 2014
Der heutige Tag startete mit einer Videokonferenz. Ein Zeuge, dem von einem der Angeklagten geholfen worden war nach Deutschland zu kommen wurde über Skype befragt. Er sagte aus, dass er aus demselben Dorf ist wie der Angeklagte und dass dieser ihm geholfen habe, von Österreich nach Deutschland zu kommen.Ob er dafür etwas bezahlt habe? Nein, der Angeklagte habe ihm geholfen, weil sie aus dem selben Dorf waren. Außerdem bestätigte der Zeuge, was der Angeklagte schon öfter gesagt hatte: viele Leute aus ihrem Heimatdorf in Pakistan sind nach Europa geflüchtet , der Beschuldigte habe geholfen wenn er konnte.
Nach einer knappen Stunde war die Einvernahme abgeschlossen und der Rest des Tages verlief in gewohnten Bahnen: Telefongespräche wurden vorgespielt, teilweise übersetzt und die Angeklagten dazu befragt.
Der Anklagepunkt VV wurde fortgesetzt und konnte auch heute nicht fertig behandelt werden. In dem Punkt wird mehreren Angeklagten zu Last gelegt, 30 Personen nach Deutschland und Italien „geschleppt“ zu haben. Nur durch Überschneidungen und Ungenauigkeiten kam die Staatsanwaltschaft auf eine derartig hohe Zahl: Die tatsächliche Personenzahl, auf die sich die Gespräche bezieht, ist verdreifacht worden und von denen ist schließlich nur zwei Personen geholfen worden aus Österreich auszureisen. Aber auch bei diesen wurde ein Bereicherungsvorsatz negiert.
Außerdem werden in dem Punkt vier Angeklagte belastet, allerdings kommt einer nur vor, weil er einen ähnlichen Namen hat, wie eine Person, die in einem Telefongespräch spricht. Für einen weiteren Angeklagten gibt es überhaupt keinen Anhaltspunkt.
Es konnten wieder einige falsche Übersetzungen aufgedeckt werden: So wurde einmal am Telefon darüber geredet, dass Leute gegangen sind. Übersetzt wurde, dass sie „geschickt wurden“. In einem anderen Telefonat wurde übersetzt, dass ein Angeklagter sagt, er würde mit den „großen Schleppern in Ungarn“ zusammenarbeiten. Tatsächlich sagte er, dass er in Ungarn viele Leute kenne.
Prozessbericht vom 30. Verhandlungstag am 1. Oktober 2014
…und täglich grüßt das Murmeltier. Von 9:10 bis 15:10 wurden Telefongespräche abgespielt, Übersetzungen verlesen und Angeklagte befragt.
Heute kamen die Punkte DD, EE, FF, GG und HH der Anklage dran. Hauptsächlich dazu befragt wurden der 1. und der 4. Angeklagte, andere nur wenig.
Manche der Telefonmitschnitte sind beschädigt, deswegen ist bei einigen der heute abgespielten Gesprächen nur ein Gesprächsteilnehmer zu hören gewesen. Die Aufnahmen dürften beschädigt von der Polizei übermittelt worden sein. Mehr Informationen dazu wird es beim nächtsen Termin von der Richterin geben.
Bezüglich der augebauschten Anklageschrift kann heute vor allem ein Anklagepunkt hervorgehoben werden: Ein Angeklagter bekam per Telefon die Information, dass 22 Personen nach Wien gekommen seien. Es gibt keinen Anhaltspunkt aus den polizeilichen Ermittlungen, dass er oder ein anderer der Angeklagten etwas mit der Ein- oder Weiterreise dieser Personen zu tun hat, trotzdem sind drei Personen zu diesem Punkt drei Personen angeklagt.
Nachdem einer der Angeklagten wieder einmal nach den Hilfestellungen gefragt wurde, erklärte er mit Nachdruck: „Wenn XY mich angerufen hat, dass seine Bekannten aus Traiskirchen oder einem anderen Camp kommen und gefragt hat, ob ich helfen kann, hab ich das gemacht. Das ist eine soziale Beziehung. Bitte verstehen Sie das nicht als ‘internationale Organisation’.“
Heute kam das Wort Garantie zur Sprache, das in den letzten Verhandlungen schon manchmal gefallen ist. Einer der Angeklagten erklärte, dass es normal ist, dass bei einem Zwischenstopp auf der Fluchtroute einer Vertrauensperson Geld hinterlegt wird. Wenn das Geld dann für die Weiterreise gebraucht wird, wird das Geld dann geschickt. Oft wird aber auch eine mündliche Zusage, eine mündliche Garantie gegeben, zum Beispiel bei Leuten aus demselben Dorf.
Garantien haben also mehr mit Vertrauensbildung zu tun, als mit Anzahlungen, wie es bisher vom Gericht verstanden wurde.
Außerdem wiesen manche der Angeklagten immer wieder darauf hin, in welche Lage dieser Prozess sie gebracht hat. Sie haben oft von ihrem eigenem Geld Tickets bezahlt und das Geld nie zurück bekommen. Sie sagten, ihre Hilfeleistungen haben ihnen nichts gebracht – außer 8 Monate Gefängnis.