Interview in MALMOE¹ mit zwei der wegen Schlepperei Angeklagten
F. und I. sind zwei der acht Männer aus Pakistan, denen Schlepperei im Rahmen einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen wird. Kurz vor ihrer Verhaftung im Sommer 2013 waren acht Aktivisten des Refugee Camp Vienna nach Pakistan abgeschoben worden. Drei der Verhafteten waren bei ihrer Festnahme auch im Servitenkloster, wohin der Protest der Refugees von staatlichen und kirchlichen Ordnungshüter_innen verdrängt worden war. Mitte Februar 2014 stand noch kein Verhandlungstermin fest, und sechs der Männer saßen noch in Untersuchungshaft, F. und I. sind seit wenigen Wochen entlassen. MALMOE hat mit ihnen über die Vorwürfe, Freundschaftsdienste und zehn Millionen Euro gesprochen.
MALMOE: Ende Juli wurdet ihr verhaftet und in Untersuchungshaft gesteckt und vor kurzem freigelassen. Wie geht es euch?
I.: Nicht sehr gut, aber es geht. Wir warten immer noch auf den Prozess. Jedes Mal, wenn ich daran denke, bin ich sehr angespannt. Wir wissen immer noch nicht, wann das Verfahren beginnt. Aber es geht, zumindest sind wir nicht mehr im Gefängnis.
Was genau wird euch und den anderen vorgeworfen?
I.: Ich weiß es nicht genau, Schlepperei. Als ich die Polizei gefragt habe, warum sie mich verhaften, haben sie gesagt: „Weil du protestiert hast. Das ist nicht Pakistan, das ist Österreich.“ Sie haben mir Zeitungsfotos vom Protest gegen die Abschiebung der acht Leute nach Pakistan gezeigt. Ich war da drauf, ja. Aber Protest ist kein Verbrechen.
Wie waren die Umstände eurer Verhaftung, und was ist danach passiert?
F.: Ich habe am Bahnhof Philadelphiabrücke Freunde verabschiedet. Es war am 29. Juli 2013 abends, als sie mich verhaftet haben. Am Tag der Abschiebungen nach Pakistan. Sie haben mich nach Eisenstadt gebracht.
I.: Ich wurde am nächsten Morgen verhaftet und auch nach Eisenstadt gebracht, wie die anderen. Dort haben wir unser Leben im Gefängnis begonnen. Von dort haben sie uns beide und eine andere Person in die JVA Josefstadt gebracht, die anderen nach Wiener Neustadt. Nach drei Monaten wurden wir auch nach Wiener Neustadt verlegt.
Was sagt ihr zu den Vorwürfen?
I.: Sie haben uns wegen Schlepperei verhaftet, aber das haben wir nicht gemacht. Wir haben hier viele Freunde. Beim Protestcamp waren circa 300 Pakistanis involviert. Von denen sind vielleicht 20 noch in Wien, acht wurden abgeschoben und sechs sind noch im Gefängnis. Alle anderen haben das Land verlassen. Wenn Freunde dich anrufen und sagen, dass sie gehen, verabschiedest du dich. Das ist keine Schlepperei. Die Polizei sagt, sie haben uns seit vier Monaten überwacht, sodass sie wissen, was wir getan haben. Aber wenn sie angeblich so gut Bescheid wissen, wieso haben sie uns nicht in Begleitung illegaler Menschen verhaftet? Einfach weil wir diese Arbeit nie gemacht haben.
F.: Als wir verhaftet wurden, hieß es, wir hätten mit Schlepperei zehn Millionen Euro verdient. Die Öffentlichkeit glaubt nun, dass wir das große Geschäft gemacht hätten. Haben wir aber nicht, das ist eine große Lüge. Wir haben überhaupt kein Geld, wo sollen diese zehn Millionen sein? Hätten wir so viel Geld, hätten wir nicht im Kloster gelebt.
I.: Ich habe Pakistan verlassen, weil es dort keine Gerechtigkeit gibt. Meine Verwandten sind tot, deshalb bin ich hierhergekommen. Ich dachte, das wäre ein Ort für ein menschliches Leben, Europa. Aber jetzt, wo ich hier bin, habe ich nicht das Gefühl, in Europa zu leben. Ich habe hier auch keine Freiheit, keine Gerechtigkeit erlebt. Die sechs Monate im Gefängnis bekommen wir in unserem Leben nicht mehr zurück. Aber ich hoffe, vor Gericht werde ich Gerechtigkeit bekommen.
F.: Wir haben Leuten geholfen, die sich nicht so gut auskannten. Als ich in Wiener Neustadt freigelassen wurde, wusste ich auch nicht, wo ich ein Ticket kaufen kann. Ich habe jemanden gefragt, und es wurde mir gezeigt. Solche Sachen haben wir auch gemacht, für Brüder aus Pakistan. Die Polizei hat alles überwacht, nicht nur die Telefone, auch Bankkonten, Western Union, alles. Wo ist das Geld, von dem sie behaupten, wir hätten es verdient?
Sechs Leute, die gemeinsam mit euch angeklagt sind, sind noch immer in Untersuchungshaft. Warum wurdet ihr entlassen und die anderen nicht?
I.: Ich weiß es nicht. Ich wurde einfach so entlassen, sie haben die Tür aufgemacht und gesagt, dass ich gehen kann. Ich vermute, dass es vielleicht etwas mit den Asylverfahren zu tun hat. Vielleicht glauben sie, dass Leute, deren Anträge abgelehnt wurden, das Land verlassen würden, wenn sie entlassen würden.
F.: Ich hatte eine Haftprüfung, ein Richter hat entschieden, mich zu entlassen. Ich war damals 18, vielleicht deswegen. Aber ich weiß es auch nicht.
Wie waren eure Erfahrungen in der Untersuchungshaft, wie haben die Polizei und das Gefängnispersonal euch behandelt?
I.: Die Situation war schlecht, das Essen auch, und niemand hat uns je zugehört. Ich wurde nicht bei meinem Namen genannt, sondern „Votivkirche“. Ich habe zum Beispiel zwei Wochen lang täglich nach dem Sozialen Dienst gefragt. Und als die Frau vom Sozialen Dienst dann endlich kam und fragte, was ich will, war sie in Begleitung der Polizei. Ich konnte nicht alleine mit ihr sprechen, und auch sie hat sowieso nicht zugehört.
F.: Ich habe mich im Gefängnis selbst verletzt, mir die Arme geritzt, weil sie gesagt haben, ich würde abgeschoben. Ein Polizist hat mich dann in die Wunden gezwickt und geschlagen. Das war der Umgang.
Wie seht ihr die Anschuldigungen politisch?
I.: Wir glauben, dass wir verhaftet wurden, weil wir uns am Protest beteiligt haben. Und wir fragen uns, warum wir immer noch auf die Verhandlung warten.
F.: Andere Leute sind auch wegen Schlepperei im Gefängnis, und sie geben es zu. Sie bekommen schnell ihr Verfahren und werden vielleicht zu einem Monat Haft und 13 Monaten Bewährung verurteilt. Aber wir waren jetzt ohne Verhandlung sechs Monate im Gefängnis, ohne einen Richter zu sehen. Und wir wissen immer noch nicht, wann die Verhandlung sein wird.
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¹ In der Ausgabe 66, 03/2014, oder online: http://malmoe.org/artikel/widersprechen/2736