(Die Berichte der vergangenen Prozesstage sowie die Termine der kommenden Verhandlungen sind hier zu finden.)
Am dritten Verhandlungstag werden der Siebt- und der Drittangeklagte einvernommen. Die Publikumsreihen sind mit zirka zwanzig solidarischen Prozessbeobachter_innen gefüllt, es sind sechs Verteidiger_innen anwesend. Die Beschuldigten, die bereits einvernommen wurden, sitzen auf der Anklagebank. Zwei von ihnen sind nach wie vor in U-Haft und werden von Justizwachebeamt_innen in den Saal geführt. Die Polizist_innen bleiben während der gesamten Verhandlung vor dem Publikum sitzen.
Am Vormittag wird der Siebtangeklagte einvernommen. Im Laufe der Vernehmung wird vor allem klar, dass die Staatsanwältin entweder absolutes Vertrauen in die Arbeit der Polizei hat oder einfach nichts davon wissen will, wie die Realität bei polizeilichen Vernehmungen oftmals aussieht. So sagt der Angeklagte aus, dass ihm anfangs der Grund seiner Festnahme nicht mitgeteilt wurde. Auf sein Nachfragen wurde er stattdessen mit Zeitungs-Bildern von ihm bei den Refugeeprotesten der vergangenen Monaten konfrontiert. Der Einwand eines Verteidigers, dass das ein Hinweis auf die Kriminalisierung der Proteste sei, wird ignoriert. Auch hätten, so der Angeklagte, ihn die Beamten der SOKO weniger befragt, als ihn vor bereits bestehende “Ermittlungsergebnisse” zu stellen. Außerdem hätten sie ihm bei seiner Aussage insofern “geholfen”, als dass sie die gestellten Fragen teilweise gleich selbst beantworteten. Die Staatsanwältin interessiert das ebensowenig wie der Hinweis eines Verteidigers auf den enormen Druck unter dem die Aussage zustande gekommen sei.
Im Gegenteil: Die Staatsanwältin warnt den Siebtangeklagten davor, die Polizeibeamt_innen “einer Straftat zu bezichtigen” anstatt der relevanten Information nachzugehen, ob die Einvernahme überhaupt als Beweismittel brauchbar sein könnte. Auf die Frage, warum er das Protokoll der Vernehmung dann unterschrieben hätte, erwidert der Angeklagte, dass er von Dolmetscher_innen und den Polizist_innen dazu aufgefordert worden sei, bei der nächsten Einvernahme hätte er sich aber nicht “helfen” lassen und verweigerte daher die Aussage.
Auch bei der Einvernahme des Drittangeklagten am Nachmittag werden Ermittlungsfehler deutlich: So wird dem Angeklagten das Protokoll eines überwachten Telefonats vorgelegt, das einem Zeitpunkt zugeschrieben wird, an dem er inhaftiert war.
Die Arbeit mit dem Akt gestaltet sich weiterhin schwierig, die Richterin hat mehrmals Schwierigkeiten, die richtige Stelle im Akt zu finden. Generell fällt von Seiten der Richterin immer wieder die Aussage, dass diverse Fakten “noch geklärt werden müssten”, insbesondere durch Befragung der involvierten Beamt_innen.
Auch wird deutlich, dass die Richterin überhaupt keine Ahnung von den Protesten der Refugees in Wien hat. Im Rahmen einer Befragung über andere an den Protesten Beteiligte stellt sie die Frage: “Leben diese Leute noch im Servitenkloster?” (Anm.: Das Servitenkloster, in das die Protestierenden im Frühling 2013 übersiedelten, musste bereits im Spätsommer 2013 geräumt werden.) Die Frage der Richterin zeigt, dass sie den Verlauf der Proteste und deren Bedeutung offensichtlich nicht verfolgt hat und den Kontext zum aktuellen Prozess, wie ihn die Verteidigung herstellt, gar nicht verstehen kann.
Auch an diesem Verhandlungstag kommt es wieder zu Problemen bei der Übersetzung. So wird am Vormittag klar, dass ein Begriff auf Panjabi, der als “Schlepperei” übersetzt wird, auch für jegliche andere Vermittlungstätigkeit gegen Provision verwendet werden kann. Dass der Vorwurf der Schlepperei an sich absurd ist, zeigt sich immer wieder in detaillierten Befragungen seitens der Richterin und Staatsanwältin. Diskutiert wird stundenlang über eigentlich alltägliche Tätigkeiten, wie etwa das Abholen und manchmal nur wenige Minuten dauernde Begleiten von Personen oder das Auslegen von Geld für Essen. Beispielsweise wird ein Angeklagter gefragt wie genau die Abrechnung nach einem Einkauf von Essen funktioniert hat, ob es auf den Cent genau zurückgegeben wurde oder nicht. Ihm wird dabei unterstellt, er hätte daran etwas verdient. Konkrete Geldbeträge, deren Existenz ja schlussendlich ein wesentliches Tatbestandselement des §114 FPG darstellen, werden so gut wie nie genannt. Wenn über konkrete Summen diskutiert wird, dann handelt es sich stets um winzige Beträge. Auch Namen von angeblich “geschleppten” Personen können nicht genannt werden. Es handelt sich stets um Unbekannte, die auch in und aus oft unbekannten Ländern mithilfe von unbekannten “Mittätern” gebracht worden sein sollen.
Zum Schluss noch ein (sinngemäßes) Zitat eines Angeklagten: “Es war eine Hilfe. Wenn ich gewusst hätte, dass es nach österreichischem Recht eine Straftat ist jemandem zu helfen, hätte ich es nicht gemacht.”