Prozessbericht vom zweiten Verhandlungstag am 19.03.2014

(Der Bericht vom ersten Prozesstag am 17.03.2014 ist hier zu finden.)

Am zweiten Verhandlungstag werden zwei weitere Angeklagte einvernommen. Die Übersetzerin für Dari, die – wie sich am ersten Prozesstag herausstellte – als Zeugin aussagen soll, ist durch einen anderen Dolmetscher ersetzt worden. Es sind sieben Verteidiger_innen anwesend. Die Publikumsreihen sind zwar nicht mehr ganz so voll wie am ersten Tag, es sind aber nach wie vor viele solidarische Prozessbeobachter_innen anwesend.

Der Achtangeklagte, der am ersten Prozesstag befragt wurde und sich nach wie vor in Untersuchungshaft befindet, wird von einem Justizwachebeamten in den Saal gebracht.

Im Zuge der Verhandlung werden der Sechst- und der Viertangeklagte einvernommen. Ihnen werden Vorwürfe aus den Ermittlungsakten vorgehalten, zu denen sie Stellung beziehen sollen. Das Chaos, das im Akt herrscht, wird wieder einmal ersichtlich. Immer wieder kommt es zu unklaren Situationen, was wo steht und wie es nummeriert wurde. Ein Anwalt meint zur Richterin, dass er sie um diesen Akt wirklich nicht beneide. Die Richterin zeigt sich zum Teil verwirrt und genervt. Zudem wird sowohl von der Richterin als auch von den Anwält_innen vermutet, dass im Akt verschieden nummerierte Vorwürfe eigentlich ident sind. Die Richterin sagt mehrmals, dass sich einiges erst im Zuge der Befragung der ermittelnden Beamt_innen klären lassen wird.
Im Zuge der Befragungen wird schnell klar, dass von einer “durchgeplanten Tatbegehung” keine Rede sein kann. Zum Teil haben die Beschuldigten einander in der Untersuchungshaft zum ersten Mal gesehen. Und auch nach “Schleppungshandlungen” wird vergeblich gesucht.

Ein zentrales Thema im Prozess bleiben die Übersetzungen der Telefonüberwachungen. Die Richterin sagt, dass sie den Dolmetscher_innen die eingescannten Telefonüberwachungsprotokolle zukommen lassen wird. Sie sollen dadurch mitlesen können, während die Überwachungsaufnahmen abgespielt werden und auf eventuelle Übersetzungsfehler hinweisen können (Anm.: Wie sich am ersten Prozesstag herausgestellt hat, geht es dabei um Begriffe wie “Schleppungswillige” statt “Leute”). Ein Anwalt sagt, dass er es besser fände, wenn die Dolmetscher_innen das Gehörte ‘live’ übersetzen, da dies eine unvoreingenommere Übersetzung garantiere. Die Richterin weist ihn daraufhin, dass es sich um gerichtlich vereidigte Dolmetscher_innen handle und sie sich frage, was – wenn diese angezweifelt werden – denn dann als nächstes angezweifelt werden solle. Wenn er mit ihrem Vorschlag nicht einverstanden sei, könne er das im Rahmen eines Rechtsmittels ausführen.

Auch zu den angeblichen Aliasnamen der Beschuldigten werden diese immer wieder befragt und es stellt sich erneut heraus, dass diese in Wahrheit viel verwendeten Anreden für Menschen aus Indien oder Nord-Afghanistan in den von den Beschuldigten verwendeten Sprachen sind. Das wird auch von den Gerichtsdolmetscher_innen immer wieder bestätigt.

Den Angeklagten wird vor Gericht nicht die gesamte Verhandlung übersetzt, sondern lediglich die an sie gestellten Fragen und ausgewählte Informationen zum Ablauf der Verhandlung. So wurde beispielsweise der Disput der Rechtsanwält_innen und der Richterin und Staatsanwältin, ob der Angeklagte auf eine bestimmte Frage antworten muss oder nicht, wurde dem Angeklagten nicht übersetzt.

Als es darum geht, festzulegen, wann die Mittagspause beginnen soll, fragt die Richterin zunächst alle am Geschehen Beteiligten, außer den aktuell einvernommenen Angeklagten. Auf eine Wortmeldung aus dem Publikum, die einfordert auch den Beschuldigten zu fragen, ob er noch weitermachen könne oder gleich eine Pause brauche, antwortet sie, dass sie ohnehin noch nicht fertig gewesen sei und sie es sei, die die Verhandlung führe. Dann fragt sie den Beschuldigten.

Im Rahmen der Einvernahme werden den Angeklagten absurde Fragen gestellt. Von einem Angeklagten will die Richterin wissen, ob zwei Menschen, die er zuvor in der Stadt zum ersten Mal gesehen hat und die dann mit ihm in einem Zugabteil saßen, Einreisedokumente nach Österreich bei sich hatten. Ganz so als wäre es selbstverständlich als Privatperson Mitreisende nach ihren Papieren zu fragen. Ein anderes Mal spricht die Richterin im Zuge der Befragung davon, dass ein “abgesondert Verfolgter”, also jemand der in diesem Prozess nicht angeklagt ist, aber gegen den ermittelt wird Menschen „zwischengebunkert“ haben soll. Ein Anwalt bittet darum, die Wortwahl der Landespolizeidirektion nicht unhinterfragt zu übernehmen: „Wenn ich Gäste habe, tu ich sie nicht zwischenbunkern. Da gehts um Leute, nicht um Pakete.“ Die Richterin daraufhin zur Protokollarin: „Halten wirs fest.“

Auffallend ist auch, wie sich das Tempo und der Tonfall der Befragung noch einmal verschärfen als die Staatsanwältin zu Wort kommt. Sie befragt die Angeklagten im Staccato, was den Druck, der auf ihnen liegt, wohl noch erhöht.

Die Verhandlung wird um 15.01 Uhr beendet und morgen, am Donnerstag, 20.03., weitergeführt.

Zum zukünftigen Prozessablauf verlautbarte die Richterin, dass der Prozess vermutlich länger dauern wird als geplant.
In den kommenden Prozesstagen werden die Beschuldigten einvernommen. Danach sind Einvernahmen der Übersetzer_innen der Telefonüberwachung und der ermittelnden Beamt_innen (uA der Sonderkommission für “Schlepperei”) geplant. Außerdem werden Mitarbeiter_innen der Caritas und Autofahrer_innen, die mitfahrgelegenheit.de benutzt haben, befragt werden.

In der Mittagspause und nach Verhandlungsende wurden Prozessbeobachter_innen mit Tee und Kaffee versorgt. Vielen Dank dafür!

Für alle, die den Prozess beobachten wollen, hier sind die Termine und die Adresse:
Vorläufige noch ausstehende Prozess-Termine:

20. März: 9 – 15.30 h

26. März: 9 – 15.30 h
27. März: 9 – 15.30 h

03. April: 9 – 15.30 h

08. April: 9 – 15.30 h
10. April: 9 – 15.30 h
11. April: 9 – 15.30 h

23. April: 9 – 15.30 h
24. April: 9 – 15.30 h

28. April: 9 – 15.30 h
29. April: 9 – 15.30 h

06. Mai: 9 – 15.30 h

Adresse:
Schwurgerichtssaal im 1. Stock
Landesgericht Wiener Neustadt
Maria-Theresien-Ring 5
2700 Wiener Neustadt

Barrierefreier Zugang
Das Gericht ist über den Haupteingang barrierefrei erreichbar.