Der Verhandlungstag beginnt mit dem üblichen Prozedere: Auf dem Podium über dem ein riesiger “Bundesadler” prangt, nehmen die Richterin, die Schöff_innen, Protokollar_innen und Dolmetscher_innen Platz. Mit am Podium ist das in Österreich obligatorische Kruzifix. Ein Blitzlichtgewitter empfängt die Angeklagten, die in Handschellen und Polizeispalier in den Saal gebracht werden. Sie versuchen ihr Gesicht zu verbergen, doch erst nach der Aufforderung der Richterin verlassen die Kameraleute den Saal. Die Schöff_innen werden vereidigt, die Anwält_innen vorgestellt und die Personalien der Angeklagten aufgenommen. Ein Angeklagter wird von der Richterin gefragt: “Haben Sie sich extra für die Verhandlung einen Anzug gekauft, Herr…?”
Die Publikumsreihen sind voll. Zahlreiche Unterstüzer_innen befinden sich im Gerichtssaal um den Prozess zu beobachten. Auch draußen vor dem Gerichtsgebäude findet eine Kundgebung statt, deren solidarische Botschaften auch immer wieder im Saal zu hören sind. Anfangs geht die Richterin kurz darauf ein, dass es in Österreich nur sehr wenige gerichtlich vereidigte Dolmetscher_innen für die im Prozess gesprochenen Sprachen Urdru, Farsi und Panjabi gibt.
Plädoyer der Staatsanwältin Gunda Ebhart
Dann beginnt die Staatsanwältin mit dem Verlesen der Anklageschrift. Im Zuge ihres Plädoyers behauptet sie, dass das hier ein Prozess gegen “Schlepper” sei, nicht pauschal gegen Flüchtlinge. Schutzzweck des “Schlepperei”-Paragraphen 114 Fremdenpolizeigesetz sei es, Flüchtlinge vor den Machenschaften der “Schlepper” zu schützen. Sie behauptet, “dass sich Flüchtlinge den “Schleppern” vollkommen ausliefern und ihr ganzes Geld den “Schleppern” geben müssen.” Außerdem spricht sie von einer angeblich “durchgeplanten Tatbegehung” der von ihr mitkonstruierten “kriminellen Vereinigung”. Ihr zynische Gerede vom “Schutzzweck” des § 114 FPG und die Pauschalaussagen über die angebliche Boshaftigkeit von “Schleppern” wird von entrüsten Zwischenrufe aus dem Publikuum begleitet (z.B.: “Die Grenzen sind das Problem”). Die Richterin reagiert mit der Drohung, die Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit weiterzuführen, sollte nicht Ruhe einkehren.
Nach der ersten kurzen Pause, als die Kameraleute sich fürs 135. Foto auf die Angeklagten stürzen und einer der Angeklagten sich daraufhin bei der Richterin beschwert, ist ihr Kommentar ganz lapidar: “Da müssen sie sich halt was vor Gesicht halten”
Gegendarstellungen der Verteidiger_innen
Die Verteidigung, es sind sieben Anwält_innen anwesend, weist die Argumentation der Staatsanwaltschaft von wegen “Schutzzweck” des § 114 FPG zurück. Der Paragraph wird als Teil des europäischen Grenzregimes kritisiert: “Geschützt wird hier die Grenze, die Festung Europa, aber NICHT Flüchtlinge” und “(…) bei der Anklage geht es nicht um Schutz der Flüchtlinge sondern um „Schutz vor Flüchtlingen“”, heißt es weiter. Der Paragraph wird an sich in Frage gestellt. Ein Verteidiger unterstreicht, dass dieser Vorwurf vor 15 Jahren ‘nur’ eine Verwaltungsstrafe nach sich zog. (Anmerkung Unterstützungsgruppe: Das Delikt wurde sowieso erst 1990 eingeführt.) Die Verteidiger_innen beginnen ihre Gegendarstellungen damit, den Prozess und die Verhaftungen der Angeklagten im Kontext der Refugee-Proteste zu verorten und widerlegen das Bild, das die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer pauschalisierend von “bösen Schleppern” gezeichnet hat. Die Anklage ist – so einer der Anwält_innen – eine „grandiose Themenverfehlung”. Der Anwalt hält fest: Die Menschen sind eingesperrt worden, weil sich eine Innenministerin profiliieren wollte. Wer in Österreich Geflüchteten hilft, kommt ins Gefängnis. Es wird daraufhingewiesen, dass die Verhaftungen zeitlich mit der Abschiebung von acht Refugee-Aktivisten und den Protesten dagegen zusammengefallen sind. Auch wird erwähnt, dass es nach den Verhaftungen zu massiver medialer Hetze und der Diffamierungen der Refugee-Proteste in Wien kam. Die Plädoyees der Verteidigung kritisieren zudem die Ermittlungen und die Anklage. Von unübersichtlichem Material, zahlreichen Redaktionsfehlern und Uneindeutigkeiten, sowie mangelden Beweisen ist die Rede. Aus dem Material ist nicht klar ersichtlich, welche “Taten” den Einzelnen vorgeworfen werden. Ein weiterer Anwalt stellt fest, dass die Teil-Geständnisse durch massiven Polizeidruck erpresst wurden. Es wird argumentiert, dass die U-Haft in Wirklichkeit einer Beugehaft gleichkommt. Den Inhaftierten wurde gesagt, dass ihre Situation bei Kooperationsbereitschaft mit den Behörden anders aussehen würde. Die Anklage basiert in erster Linie auf Polizeiberichten, die mit kruden Argumentationen und Konstruktionen Unwahrheiten verbreiten, aber keine Beweise liefern. Der Akt enthält zudem permanent unterschwellige Kriminalisierungen: Wenn ein Angeklagter beispielsweise ein Handy verwendet hat, wird es als „Schlepperehandy“ bezeichnet – was auch immer das sein soll. “Ich misstraue der Polizei in diesem Akt aus ganzem Herzen”, sagt ein Verteidiger.
Nach den Plädoyers beantragen die Anwält_innen, die im Rahmen der massiven Überwachung aufgezeichneten Telefongespräche im Audioformat zu erhalten. Dem wird stattgegeben. Bisher stehen den Anwält_innen nur die im Akt verschriftlichten fragwürdigen Übersetzungen und Zusammenfassungen zur Verfügung.
“Ich habe einmal jemandem geholfen”
Die Angeklagten werden gefragt, ob sie sich unschuldig, teilweise schuldig oder schuldig bekennen. Ein Angeklagter bekennt sich nicht schuldig, die anderen Angeklagten teilweise schuldig. Dabei wird besonders deutlich, was gemäß §114 als “Schuld” gilt und bestraft wird:
Ein Angeklagter bekennt sich teilschuldig, weil er “fünf bis sieben mal Menschen geholfen” hat, zwei sagen, dass sie “einmal jemandem geholfen haben” und sich daher teilschuldig bekennen. Ein anderer sagt: “Mein Fehler war, dass ich Leuten Essen gebracht habe.” Keiner der Angeklagten bekennt sich gänzlich schuldig im Sinne der Anklage. Die Richterin beschließt dann, die Angeklagten “abgesondert”, also getrennt voneinander, zu vernehmen. Nach der Mittagspause wendet sich ein Angeklagter an die Richterin. Er weist darauf hin, dass er seit Monaten in Untersuchungshaft ist und auf ein baldiges Urteil hofft.
Einvernahme des Achtangeklagten – falsche Übersetzungen im Akt
Im Zuge der Einvernahme des Achtangeklagten, der als erster vernommen wird, rücken die Telefonüberwachungen ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Als die abgehörten Telefongespräche abgespielt und von den anwesenden Dolmetscher_innen übersetzt werden, stellt sich heraus, dass die Übersetzungen, die sich im Akt, auf dem die Anklage basiert, befinden, nicht dem tatsächlich Gesprochenen entsprechen und tendentiös im Sinne der Anklage übersetzt wurden. So wurde beispielsweise der Satz “Die Leute sind gekommen” übersetzt mit “Die Schleppungswilligen sind gekommen.” Um die Verwirrung darüber “aufzuklären”, meldet sich die Gerichtsdolmetscherin für Farsi zu Wort und sagt, dass sie neun Monate lang für die Behörden gearbeitet hat und auch an der Übersetzung der Telefonüberwachungen beteiligt war. Im Gerichtssaal war also dieselbe Dolmetscherin für die Übersetzung beauftragt, die auch an den Ermittlungen beteiligt war. Sie erklärt: “Die sagen ‘die Leute’, das ist schlepperrelevant. Wenn sie sagen, dass die Leute da sind, dann bedeutet das Schleppungen.” Die Anwält_innen beginnen daraufhin, die Dolmetscherin zu befragen und beantragen schließlich die Berufung der Dolmetscherin in den Zeug_innenstand. Die Staatsanwältin schließt sich dem Antrag an. Außerdem werden auch die weiteren drei an den Übersetzungen der Abhörprotokolle Beteiligten als Zeug_innen beantragt. Ein Anwalt weist darauf hin, dass die Befragung der Dolmetscher_innen möglichst bald stattfinden sollte, da sich das “Problem” ja durch die ganze Anklage zieht, die zum Großteil auf diesen Protokollen basiert. Probleme bzw. Instrumentalisierungen von Übersetzungen und “Sprache” wurden bereits zuvor im Zuge des Prozesses ersichtlich: Die im Akt so oft genannten “Aliasnamen” der Angeklagten, die die ihnen unterstellte “Kriminalität” unterstreichen sollten, stellen sich nach Befragung der Dolmetscher_innen als in der jeweiligen Sprachen gewöhnliche Bezeichnungen für “Freund”, “Bekannter”, “Herr” – also als viel verwendete Anreden – heraus. Von den Behörden jedoch wurden diese Worte als “Namen” einiger Angeklagter gewertet und als “Beweise” für deren Involvierung in die Anklage.
Nach dem ersten Prozesstag ist klar: Der §114 FPG steht für die aktive Kriminalisierung von (Flucht)Hilfe und die Anklage basiert auf jedenfalls fragwürdigen Ermittlungsmethoden und manipulierten Übersetzungen.
Solidarische Prozessbeobachtung ist weiterhin gefragt!
Besonders hilfreich wäre es, wenn auch Menschen den Prozess beobachten, die Farsi, Urdu oder Panjabi und Deutsch sprechen, um die Übersetzungsarbeit im Prozess und der Behörden beurteilen zu können.
Vorläufige Prozess-Termine:
17. März: 9 – 15.30 h
19. März: 9 – 15.30 h
20. März: 9 – 15.30 h
26. März: 9 – 15.30 h
27. März: 9 – 15.30 h
03. April: 9 – 15.30 h
08. April: 9 – 15.30 h
10. April: 9 – 15.30 h
11. April: 9 – 15.30 h
23. April: 9 – 15.30 h
24. April: 9 – 15.30 h
28. April: 9 – 15.30 h
29. April: 9 – 15.30 h
06. Mai: 9 – 15.30 h
Adresse:
Schwurgerichtssaal im 1. Stock
Landesgericht Wiener Neustadt
Maria-Theresien-Ring 5
2700 Wiener Neustadt
Barrierefreier Zugang
Das Gericht ist über den Haupteingang barrierefrei erreichbar.