Nach über einem Monat Pause ging der Prozess, heute etwas verspätet, wieder weiter.
Aus gesundheitlichen Gründen konnte einer der Angeklagten heute nicht erscheinen. Die Richterin drohte ihn aus dem Verfahren auszuscheiden, da dem Anwalt noch keine schriftliche Bevollmächtigung vorlag, die es ihm erlaubte die Verteidigung in Abwesenheit des Mandanten weiterzuführen.
Telefonisch wurde dies jedoch gleich nachgeholt, der Übersetzer bestätigte die mündliche Vollmacht. Trotzdem ließ die Richterin eine Streife zur Meldeadresse des abwesenden Angeklagten fahren um diesen zu überprüfen. Sie ließ die Verhandlung für 10 Minuten unterbrechen um sich mit den Schöffen darüber zu beraten, ob der erkrankte Angeklagte aus dem Verfahren ausgeschieden werden sollte. Nein, wurde er nicht, er ist weiterhin Teil des Verfahrens.
Die Richterin ließ ungewöhnlich ausführlich die möglichen Konsequenzen eines Fernbleibens übersetzen und ermahnte wiederholt zu den kommenden Terminen pünktlich zu erscheinen.
Im Saal saßen mindestens vier Polizeibeamt_innen, zwei von ihnen waren bei Verhaftungen im Einsatz. Sie sind potentielle Zeug_innen, auch ohne bereits eine Ladung bekommen zu haben, entfernten sich jedoch erst auf Anfrage eines Anwaltes an die Richterin aus dem Schwurgerichtssaal. Die Richterin weigerte sich jedoch die Beamt_innen nach ihren Dienstnummern zu fragen, obwohl es wohl klar ist, dass die Polizist_innen nicht zu ihrem Privatvergnügen da waren. Sie konnten so weiterhin das Verfahren beamtshandeln ohne sich kenntlich zu machen.
Um etwa 10.45 Uhr begannen die Einvernahmen der Zeug_innen. Für heute waren die Einvernahmen von 4 Dolmetscher_innen und 3 Polizeibeamten geplant. Einer der Dolmetscher war bereits entschuldigt, tatsächlich kam es aus zeitlichen Gründen nur zur Einvernahme von zwei Dolmetscher_innen, die Polizeibeamten wurden auf unbekannt vertagt.
Die erste Zeugin war jene Dolmetscherin für Dari, welche am ersten Verhandlungstag als Gerichtsdolmetscherin anwesend war und dann ausgewechselt wurde nachdem sie erklärte, dass sie in dem Fall schon für die Polizei gedolmetscht habe und sie damals die Anweisung bekommen habe, dass sie bei Aussagen wie „Die Leute sind gekommen“ „Die Schleppungswilligen sind gekommen“ übersetzen sollte, weil es ein „schlepperrelevantes“ Gespräch ist.
Bei ihrer Befragung wies sie mehrmals darauf hin, dass sie nur aushilfsmäßig in diesem Fall übersetzt habe.
Als sie zu der falschen Übersetzung von „Schleppungswilligen“ befragt wurde, fragte sie ein Verteidiger, ob sie, wenn er (der Verteidiger) bei sich im Büro anruft und sagt, dass die Leute angekommen sind, dann auch übersetzen würde, dass die „Schleppungswilligen“ angekommen sind. Die Dolmetscherin erklärte daraufhin: „Nein natürlich nicht, sie sind der Herr Magister, nicht der Schlepper.“
Sie und der zweite Zeuge des Tages (ihr Bruder) sind beide nicht vereidigte Dolmetscher_innen, sondern „sprachkundig“ in Dari und Farsi, sowie in Urdu und angeblich genauso in Punjabi. Beide übersetzen auch in Asylverfahren. Der allergrößte Teil der abgehörten Telefongespräche in diesem Fall wurden auf Punjabi geführt, somit waren die beiden Dolmetscher_innen vordergründig damit beauftragt Punjabi zu übersetzen.
Zentrale Frage in der Einvernahme war, ob sie wortwörtlich oder zusammenfassend übersetzten und wer entschied, wie das gesagte interpretiert wird. Was genau in den Vorbesprechungen mit den ermittelnden Beamten, von denen die Zeugin bloß die Vornamen kannte [Martin (Unger), Mathias und Berni], beschlossen wurde, konnte nicht näher eruiert werden.
Meist übersetzten die Dolmetscher_innen zuerst mündlich und die Polizei entschied was belanglos war und was nicht. So wurde zum Beispiel von einem neun minütigen Telefongespräch nur eine halbe Seite übersetzt, ohne jegliche Anmerkung, was oder warum der Rest ausgelassen wurde. Die Dialogform (ohne jegliche Anmerkungen) in den Telefonüberwachungsprotokollen gibt jedoch den Anschein, es wäre eine wortwörtliche Übersetzung.
Weiters waren die Dolmetscher_innen auch beauftragt, sprechende Personen zu identifizieren und sie durch Stimmvergleiche (!) zuzuordnen. Die Frage der Verteidigung, ob es diese Zuordnungen und Stimmvergleiche auf irgendwelchen wissenschaftlichen Grundlagen oder Ausbildungen der Beteiligten basierten, wurde verneint.
Die erste Zeugin hatte in Pakistan Jus studiert, aber noch nie etwas von Unschuldsvermutung bzw. dem Zweifelsgrundsatz gehört. Sie arbeitet seit etwa fünf Jahren als Dolmetscherin mit der Polizei zusammen und war in diesem Verfahren auch beauftragt bei Einvernahmen in Eisenstadt zu übersetzen.
Eine ähnliche berufliche Laufbahn hat ihr Bruder, der wenige Monate nach ihr mit Übersetzungen für die Polizei begann. Auch er hat keine Dolmetsch-Ausbildung, sondern ist sprachkundig und übersetzte in diesem Fall hauptsächlich Punjabi. Er selbst spricht nicht Punjabi, sondern nur Urdu, die Hochsprache. Er wurde gebeten die Rechtsbelehrung in Punjabi zu übersetzen. Trotz fünf Jahren Praxis als Dolmetscher, war es ihm jedoch nicht möglich dem nachzukommen. Immer wieder betonte er, dass die Rechtsbelehrung immer nur zusammenfassend übersetzt werden, weil die Befragten sie ja ohnehin nicht verstehen würden. Er erkläre ihnen deswegen nur immer, dass sie „halt ein paar Rechte haben, wie, dass sie einen Anwalt haben dürfen und so“.
Es gibt keine wortwörtliche Übersetzung von Formulierungen in der Rechtsmittelbelehrung, anscheinend jedoch auch keine Erklärungen oder Umschreibung. Konkrete Fragen nach der Bedeutung von einzelnen Punkten der Rechtsbelehrung konnte der Dolmetscher nicht beantworten.
Ohne die Sprache zu sprechen, ist es grundsätzlich nicht möglich den Angeklagten Einvernahmen rückzuübersetzen. Es wurden ihm ein Einvernahmeprotokoll eines Angeklagten vorgelegt, das nicht unterschrieben wurde. Der Zeuge begründete das mit Ängsten und dem Schockstand nach der Verhaftung. Der betroffene Angeklagte begründete die Unterschriftverweigerung damit, dass der Übersetzer die Sprache nicht ausreichend beherrschte und er ja nicht gewusst habe, was da drinnen steht.
Ein anderer der Angeklagten sagte aus, dass ihm am Anfang seiner Einvernahme übersetzt wurde: „Du bekommst 10 Jahre weil du bist ein Schlepper“.
Zu wieder einer anderen Einvernahme sagte der Dolmetscher: „Er [der Beschuldigte] hat damals gesagt, er möchte einen Anwalt haben, aber er hat keine Telefonnummer gehabt, dann haben wir halt weiter gemacht.“
Auch der zweite Zeuge wurde befragt, warum er Telefongespräche, in denen von „Leuten/Personen“ gesprochen wurde mit „Schleppungswillige“ übersetzt habe. Er erklärte immer wieder, dass das ja aus dem Kontext und den Folgegesprächen klar war. Die Frage, wo diese Folgegespräche dann seien, konnte er nicht beantworten.
Die Untersuchungshaft, sowie die gesamte Anklage basiert zu einem großen Teil auf Telefonüberwachungen. Schon während den Einvernahmen und vor allem danach äußerten einzelne Angeklagte ihren Unmut über die Auswirkungen der fehlerhaften Übersetzungen. Sie saßen sechst bzw. acht Monate in Untersuchungshaft aufgrund von Interpretationen der überwachten Telefongespräche.
Der Schlussatz der Richterin an die Angeklagten: „… Sie sollen pünktlich erscheinen und wenn möglich Fahrgemeinschaften bilden!“