Bezirksinspektor Rudolf Kranz wurde heute einvernommen. Er verfasste einen der beiden Abschlussberichte, der drei der Angeklagten betrifft und in weiterer Folge der Ermittlungen mit dem Abschlussbericht von Gruppeninspektor Martin Unger chaotisch zusammengelegt wurde. Rudolf Kranz war zu dieser Zeit ebenso wie Martin Unger Mitarbeiter der Sonderkommission(Soko)-Schlepperei Süd. Kranz gab an, seit 1998 im Bereich “Fremdenrecht/Schlepperei” tätig zu sein. Die Argumentationen mit denen er Fehler der Soko-Beamten sowie der Dolmetscher*innen rechtfertigte, waren so gut wie ident mit denen von Martin Unger (siehe Protokoll vom neunten und zehnten Verhandlungstag). Seine Wortwahl war auch fast dieselbe. Er machte viele generelle Aussagen, wenn es aber um konkrete Punkte in diesem Verfahren ging, konnte er keine aussagekräftigen Angaben mehr machen.
Hingewiesen auf die tendenziösen Übersetzungsfehler verwies er stets auf die Dolmetscher*innen. Er müsse sich ja auf diese verlassen können.
Außerdem betonte er immer wieder, dass die Soko “Qualitätskontrollen” der Übersetzungen durchgeführt habe. Dabei sind den Beamt*innen offenbar keine “Mängel” aufgefallen. Der Dolmetscher allerdings konnte, wie sich im Zuge des Prozesses herausstellte, keine zwei Sätze die er selbst auf Deutsch übersetzt hatte auf Punjabi rückübersetzen. Kranz hatte dafür keine Erklärung und verwies erneut darauf, dass er ja – da er die Sprache selbst nicht könne – auf das Vertrauen zu den Dolmetscher*innen angewiesen sei.
In Bezug auf den Vorwurf der “kriminellen Vereinigung” gab Rudolf Kranz an, dass es sich bei den Angeklagten um “keine großen Bosse” handle, sie hätten dennoch in der angeblichen “Organisation” eine wichtige, wenn auch leicht austauschbare Rolle gespielt. Seine Begründung stützt sich alleine auf Telefonüberwachungen sowie Mutmaßungen. Er gab an, die Angeklagten hätten sich im Votivpark getroffen, um die Arbeitsteilung zu besprechen. Woher er das wisse? Er habe sie im Votivpark im Zuge einer anderen Observation gesehen und aus seiner Erfahrung wisse er, dass persönliche Treffen das einfachste Mittel seien, um “Schleppungshandlungen” zu besprechen. Er gab allerdings ebenso an, dass er die Sprache, in der die Angeklagten miteinander kommuniziert haben, nicht versteht. Auf die Frage danach, was im Rahmen der Telefonüberwachungen als “schlepperrelevant” galt, antwortete Kranz, dass alles, wo es um Personen ginge, dazu zähle.
Auf die Frage eines Anwaltes, ob er seine Vermutung, dass es sich um “keine großen Bosse” handle dem Innenministerium mitgeteilt hätte, gab er eine etwas konfuse Antwort. Es wäre nie etwas von einer “schwangeren Frau” kommuniziert worden, aber es hätte mehrere Presseaussendungen gegeben, vom BMI und von der Soko. Da sei wohl etwas vermischt worden.¹
Auf Nachfrage eines Schöffen wurde am heutigen Verhandlungstag auch über “Schlepperei” generell gesprochen. Dabei wurde das Bild einer vermeintlichen “internationalen Schleppermafia” – für die es allerdings keine konkreten Beweise gibt – gezeichnet. Laut dem Polizeizeugen säßen die “Bosse” allesamt im Ausland, diese “Mafia” wäre wie eine Firma organisiert, wo alle Beteiligten bestimmte Aufgaben hätten. Die “Hauptschlepperzeit” wäre im Sommer und ein “gutes Geschäft”. Auf die Frage des Schöffen ob “Schlepperei” auch mit “Flüchtlingen” zusammenhänge, gab der Zeuge an, dass “Krisen” – wie beispielsweise in Afghanistan oder Syrien – einen “vermehrten Migrationsdruck” auslösen. Im Zuge seiner weiteren Befragung betonte er, dass er für die “Bekämpfung der Schlepperkriminalität” zuständig sei und nichts zum Asylrecht sagen könne. Selbstverständlich waren das repressive Grenzregime der EU und die Kriminalisierung von Flucht und Migration kein Thema.
Der Beamte berief sich außerdem auf Zahlen aus einer polizeilichen Statistik über “aufgegriffene Personen”. Dass diese Zahlen de facto nicht aussagekräftig sind, da sie lediglich Auskunft darüber geben, wann wie viele Personen von der Polizei verdächtig wurden, erwähnte er nicht. Der Schöffe nahm die Aussagen des Beamten zur Kenntnis, ohne genauer nachzufragen.
Im Zuge der Befragung des Polizeizeugen versuchten einige Angeklagte immer wieder zu seinen Aussagen Stellung zu nehmen. Sie wurden dabei von der Richterin und dem Schöffen zu Recht gewiesen. Dies erfolgte mit abwehrenden Handbewegungen, schroffen “Pscht!”-Rufen und der Drohung, einen Angeklagten des Saales zu verweisen, wenn er nicht still bleibt. Die Richterin verwies die Angeklagten darauf, dass sie nach der Befragung die Möglichkeit hätten, Stellung zu nehmen. Als es dann soweit war, wurden die Aussagen der Angeklagten kurz angehört, jedoch nicht darauf eingegangen, ihre Fragen blieben unbeantwortet. Ein Angeklagter hat beispielsweise sein Handy, die ihm im Zuge seiner Festnahme von der Polizei weggenommen wurde, bis heute nicht wieder erhalten. Dem wurde nicht weiter nachgegangen.
Des weiteren wurde ein „potentieller Zeuge“ des Saales verwiesen. Er ist vermutlich von Bezirksinspektor Kranz wiedererkannt worden, da auch gegen ihn kurzzeitig ermittelt worden war. Dies ist insofern auffällig, als dass im Zuge der Befragung des Beamten Martin Unger herausgestellt hatte, dass regelmäßig auch Beamt*innen der Soko-Schlepperei im Gerichtssaal saßen. Diese verließen den Saal nicht, als die Richterin darauf hinwies, dass es potentiellen Zeugen untersagt ist, der Verhandlung zu folgen. Die Nachfragen der Verteidigung, warum die Person heute von der Verhandlung ausgeschlossen wird, blieben unbeantwortet.
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¹ Im Sommer 2013 gab die Innenministerin Mikl-Leitner eine Stellungnahme zu den Verhaftungen, in denen sie die Angeklagten als „brutale Schlepperbosse, die Schwangere auf der Route zurückließen“ diffarmierte und damit Abschiebungen von acht Personen nach Pakistan medial rechtfertigen konnte. Die Aussagen wurden noch vor Prozessberginn widerlegt.