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Wir erinnern uns an letzten Sommer: Nach mehr als einem halben Jahr kontinuierlichem Protest wurden im Juli 2013 acht Aktivisten der Refugee-Bewegung abgeschoben. Der anhaltende Protest wurde mit der Inhaftierung von weiteren beantwortet. Der Vorwurf: Schlepperei im Rahmen einer kriminellen Organisation. Nach mehr als acht Monaten in Untersuchungshaft startete am 17. März die Verhandlung im Landesgericht Wiener Neustadt.
Seither gingen 19 Verhandlungstage über die Bühne jenes Schwurgerichtssaals, wo auch schon die Verhandlungen im s.g. Tierrechts-Prozess stattfanden.
Nach einer Verhandlungspause im Sommer, sind nun im September weitere elf Verhandlungstage angesetzt:
8. September 2014: 9 – 15:30 h
10. September 2014: 9 – 15:30 h
11. September 2014: 9 – 15:30 h
15. September 2014: 9 – 15:30 h
17. September 2014: 9 – 15:30 h
18. September 2014: 9 – 15:30 h
24. September 2014: 9 – 15:30 h
25. September 2014: 9 – 15:30 h
26. September 2014: 9 – 15:30 h
30. September 2014: 9 – 15:30 h
1. Oktober 2014: 9 – 15:30 h
Es ist schwer abzuschätzen, ob an einem dieser Tage das Urteil gefällt wird, oder ob im Oktober noch weitere Termine dazukommen.
Fakt ist, dass der Prozess den Alltag der acht Angeklagten massiv erschwert, ganz abgesehen davon, was eine Verurteilung bedeuten würde.
Bisher wurden hauptsächlich Zeug_innen befragt, darunter leitende Polizisten der Sonderkommissionen „Schlepperei“, welche das Ermittlungsverfahren in der Hand hatten und Dolmetscher_innen der Polizei, welche – wie sich am ersten Verhandlungstag herausstellte – eine mehr als zweifelhafte und ungenaue Arbeit geleistet hatten. Die Ermittlungen der Polizei basieren auf Spekulation, Annahmen von einzelnen Beamten, vorverurteilenden Übersetzungen und rassistischen Grundannahmen. Darauf aufbauend wurden zig Telefone überwacht und Personen observiert um schließlich willkürlich eine „Schlepperorganisation“ zu konstruieren.
Schließlich wurde ein – sogar in rechtsstaatlicher Logik – völlig chaotischer und lückenhafter Ermittlungsakt an die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt übermittelt, die sich dann willig als nächstes Rädchen in der Repressionsmaschinerie zu drehen begonnen hat: Während die Angeklagten hinter die Mauern des Gefängnisses gesperrt waren, erstellte die Staatsanwaltschaft eine Anklageschrift, basierend auf den „Ergebnissen“ der zweifelhaften Polizeiarbeit. Nun liegt es an der Richterin, wie sie diese Kriminalisierung weiterführen wird.
Ein typischer Anklagepunkt lautet, dass Beschuldigte A, B und unbekannte Täter an einem bestimmten Tag „zumindest zwei auszuforschende Personen durch/über Österreich in weitere Länder der EU“ gebracht haben sollen.
Wer die „auszuforschenden Personen“ sind, ob sie tatsächlich eine Grenze übertreten haben und dazu rechtlich gesehen keine Erlaubnis hatten oder ob sie dafür mehr als die Unkosten der Reise bezahlt hatte, geht aus dem Akt meist nicht hervor. All das obwohl das für den Tatbestand des §144 FPG grundlegend wäre.
Teilweise geht aus dem Akt nicht einmal hervor, welche konkreten Handlungen Beschuldigte gesetzt haben sollen. Diese Frage konnte von der Polizei oft auch auf auf Nachfrage nicht beantwortet werden. Teilweise sind Angeklagte beschuldigt, weil sie „etwas gewusst haben“.
Bei anderen Punkten sind Personen angeklagt, weil andere über sie mit einem Spitznamen, der sich auf die Nationalität des Beschuldigten bezieht, redeten. Dass es eventuell mehrere Personen geben könnte, die diesen Spitznamen tragen, wurde von der Polizei nicht nur nicht ausgeschlossen, es wurde teilweise nicht einmal in Erwägung gezogen.
Die Telefongespräche wurden fast durchgehend zu Ungunsten der Beschuldigten übersetzt: statt „Leute“ „Schleppungswillige“, statt „Geld“ „Schlepperlohn“ usw.
In dieser Logik ist es schon „schlepperrelevant“, wenn Personen gemeinsam in einem Park sitzen und plaudern.
Im aktuellen Fall wird speziell durch die Aussagen der Polizisten vor Gericht wieder deutlich, welche Annahmen den Ermittlungen zu Grunde liegen und wie Gesetzte zur Kriminalisierung unliebsamer Personen und Gruppen eingesetzt werden.
Nicht nur der Paragraf 114 selber, vor allem seine Auslegung ist dazu da, Solidarität und Hilfe zwischen Geflüchteten und Migrant_innen zu brechen, weil jede Hilfestellung für eine Person, die vielleicht keine gültigen Papiere haben könnte, eine Gefahr darstellt.
Dieser Prozess ist nicht nur eine Kriminalisierung einer starken antirassistischen Bewegung. Der „Schlepperei“-Paragraf ist auch eine Kriminalisierung von Migration und allen Menschen, die undokumentiert migrieren sowie jenen, die ihnen die dafür benötigten Strukturen zur Verfügung stellen.
Mit dem (§114 FPG), dem “Schlepperei”-Paragrafen, wird die für viele Menschen einzige Möglichkeit Grenzen zu überschreiten kriminalisiert. Kriminalisiert wird hier nichts anderes als eine Dienstleistung, deren Nachfrage auf der Abschottung und Bewachung der Ausgrenzen der Festung Europa beruht. Eine Dienstleistung, deren Preis sich aus einem komplexen Zusammenspiel von Risikofaktoren und Nachfrage ergibt. Gleichzeitig helfen sich ununterbrochen etliche Menschen dabei zu migrieren, ohne dass Bezahlung dabei eine Rolle spielen würde. Das Problem ist nicht sogenannte “Schlepperei”, sondern die Grenzen und die Beschränkung der Bewegungsfreiheit auf eine kleine privilegierte Gruppe.
Aus all diesen Gründen sind und bleiben wir solidarisch mit den acht Angeklagten, egal wie dieser Prozess enden wird. Denn obwohl auch die Richterin verärgert über den chaotischen Akt der Polizei und deren ungenaue Arbeit scheint, dürfen wir uns nicht täuschen lassen: Das Gericht ist noch immer dem Staat verpflichtet, der Bewegungsfreiheit einschränkt und politischen Protest im Zaum halten will.
Zeigt eure Solidarität durch eure Anwesenheit im Gerichtssaal, das unterstützt die Angeklagten und zeigt, dass die Verhandlung nicht ungesehen über die Bühne gehen kann!
Migration ent-kriminalisieren! Weg mit §114 FPG!
Call-out to support the accused in the court case of “human smuggling”
We remember last summer: After more than half a year of protest, eight activists of the refugee-movement were deported in July 2013. The ongoing protest was answered with other arrests. The accusation: human smuggling within a criminal organization (§114 FPG). After more than eight months of pre-trial detention, the trial started on March 17th in the federal court of Wiener Neustadt.
Since then 19 days of trial have taken place. It has been held in the same room where already the court case against animal-right activists took place, another case of criminalization of political protest.
After a break during summer, eleven new days of trial have been announced:
September 8th
September 10th
September 11th
September 15th
September 17th
September 18th
September 24th
September 25th
September 26th
September 30th
October 1st
each day from 9am to 3:30pm
It is hard to say if there will be a judgment on one of this days or if the trial will be prolonged in October.
Anyways, what is a fact: The trial heavily aggravates the daily life of the eight accused, let alone which consequences a sentence would mean.
What happened till now? Mainly witnesses where interrogated, among them leading policemen of the special investigation unit “Soko Schlepperei” and their translators who did a more than doubtable work, as discovered already on the first day of trial.
The police investigation is based on speculations, assumptions of single policemen, prejudging translations and racist logics. On this ground, persons and lots of telephones had been observed to finally arbitrarily construct a criminal organization.
Finally – even in the logic of democratic states – a completely chaotic and fragmentary file was handed over to the state prosecutor in Wiener Neustadt. Willingly, they started their part in the machine of state-repression: While the accused were kept locked up behind the prison walls, the state prosecutor created the bill of indictment based
on the “results” of the doubtful police work. Now, it is the judge’s turn to continue this criminalization.
Typical for the indictment are accusations of, for example, person A, B and futher unknown suspects of having smuggled “at least two unknown persons through Austria to another country of the European Union” on one
certain day.
What one cannot find anywhere in the piles of files, is any indication for the identity of the “unknown smuggled person”, if they actually passed any border and, in case they did, were not having the right to do so or if they payed more than the travel expenses for the journey. There are practically no such results, even though these are crucial elements of offense for §114 FPG.
Sometimes there is even no clue in the files on which concrete action the accused should have done. Even when the court asked the police directly about this, they could not tell. Sometimes persons are accused because “they knew something”.
In other points persons are indicted because others talk about them using a nickname which refers to their nationality. The possibility that there could be more people who have the same nickname was often not even considered.
Virtually all telephone calls were translated to the disadvantage of the accused: Instead of “person” “Schleppungswillige” (which means something like “person-to-be-smuggled” or “person who wants to be smuggled”),
instead of “money” “smuggling wage” and so on.
Logically, it is already “relevant” for the case, when people sit together in a park and chat.
In this actual case especially the statements of the police show once again clearly on which assumptions the police investigation is based and how the law is used to criminalize unfitting people and groups.
Not only the §114 itself, especially its interpretation is made to break solidarity and help among refugees and migrants because every small support for a person who could maybe not have valid papers is a
potential danger.
This trial is not only a criminalization of a strong anti-racist movement. The “human smuggling” paragraph is a criminalization of migration and all those people who migrate undocumented or those who provide the needed structures.
The paragraph 114 FPG outlaws the only possibility for many people to cross borders. Its object is nothing else than a service based on the demand that the militarization of the EU borders and the creation of a fortress Europe are causing. A service that has to be paid according to its demand and the risks connected to it. At the same time, many people help each other to migrate all the time without being payed at all. The problem is not so-called “human smuggling” but the borders and the limitation of freedom of movement to a small group of people.
These are the reasons why we keep on showing our solidarity with the eight accused, no matter how this trial will end. Because even if the judge seems to be angry about the chaotic police file and their inexact work, we should not be misled by this: The court is still bound to the state which restricts freedom of movement and wants to keep political protest limited.
Show your solidarity through your presence in the court. This supports the accused and shows that this trial cannot go off unseen!
De-criminalize migration! Smash §114 FPG!